Einsam im Alter

Können ein Denker und ein Macher wahre Freunde werden? Und wenn ja, für wie lange? Bis der eine was tut, und der andere sagt, was er darüber denkt? Im Göttinger Stadttheater trafen sich zwei alte Freunde auf offener Bühne wieder.

Ein interessanter Austausch zwischen dem Philosophen Oskar Negt und Altkanzler Gernard Schröder... Foto: Maoista-bodhisattva / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Was passiert, wenn sich zwei alte Freunde in aller Öffentlichkeit treffen? Wenn die beiden dazu noch so unterschiedliche Naturelle haben? Der eine nachdenklich und besorgt, der andere anpackend und forsch. Dann haben sie einen Tipp parat für alle, denen das etwas gehobene Alter noch bevorsteht: Wer in diesem Alter nicht einsam werden will, sollte sich seine Freunde gut ausgewählt haben. „Doch wer im Leben seine Bekanntschaften nur nach dem Gleichstand der Gesinnung aussucht“, sagt der Ältere der beiden, „wird im Alter ziemlich schnell allein dastehen.“. Und der Jüngere nickt: „Das kann ich nur bestätigen“.

Der Ältere ist der Adorno-Schüler, Philosoph und Soziologe Oskar Negt, der Jüngere, Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder. Der Denker und der Macher. Der Hochschullehrer in Hannover, den der niedersächsische Ministerpräsident einst um eine Unterredung bat, woraus sich eine langjährige Gesprächsfreundschaft entwickelte. Der Sozial- und Arbeitsforscher mit starkem Gewerkschaftshintergrund und der Kanzler der Hartz 4-Regelungen, wobei der eine befriedigt feststellen kann, dass der andere nun ebenfalls Änderungen an seinen eigenen Gesetzen befürwortet. Oskar Negt also, der im Alter von 82 Jahren seine Fluchtgeschichte zum Forschungsgegenstand gemacht hat, um an sich selbst nachzuvollziehen, wie sehr die Zeitgeschichte auf unser Denken und Handeln wirkt, und Gerhard Schröder, der vielleicht einmal als der Bundeskanzler in die Geschichte eingehen mag, der Hauptdarsteller war in einer bewegten und notwendigen rot-grünen Übergangsepisode zwischen sechzehn Jahren Kohl und sechzehn Jahren Merkel.

Alte Freunde sind sie nun, was man also daran erkennt, dass sie sich aneinander reiben. Als Oskar Negt erzählt, er sei vor einem Monat zu seiner eigenen Verblüffung die Einladung erhielt, den Einführungsvortrag auf einem Treffen der rot-rot-grünen Bundestagsfraktionen am 18. Oktober zu halten, da wiegelt Gerhard Schröder ab: So sensationell sei das ja nun nicht. Man müsse doch mit allen reden dürfen, dahinter stecke nicht gleich der Beginn einer neuen Koalitionsoption, zumal ja einige bei den Grünen schon in eine ganz andere Richtung schielten. Als Oskar Negt fragt, was es wohl bedeuten mag, dass sogar SPD-Chef Sigmar Gabriel dann seiner Rede gelauscht hätte, um erst danach den Saal zu verlassen, weiß der Altkanzler, dass dieses gar nichts zu bedeuten hätte. Gabriel sei nämlich nur gekommen, um vorzubeugen, nicht als Buhmann dazustehen, wenn schließlich doch nichts würde aus der Gesinnungsfreundschaft.

Da saßen sie also beisammen, die alten Freunde, und worin für den einen Hoffnung auf eine neue Zeit aufdämmert, erkennt der andere bloß politische Taktik. Was schließen wir Zuschauer daraus, die vielleicht sogar denken, dass die, die eher links im Bundestag sitzen, sich doch endlich mal zusammenraufen sollten? Wir haben gelernt, dass solche Kennenlerntreffen von Möchtegern-Koalitionären das beste Mittel gegen Einsamkeit im Alter sind.

1 Kommentar zu Einsam im Alter

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste