Elemente in Wechselbeziehungen

Die Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk Freiburg zeigt die Ausstellung "Komplexe Systeme".

Gabriela Loeffel - "Offscreen 2". Foto: E-Werk

(LK) – Seit vergangenem Donnerstag und noch bis Sonntag, 19. Juni, zeigt das E-Werk Freiburg in seinem Foyer die ausstellung “Komplexe Systeme” mit Werken der Künstlerinnen Gabriela Löffel (Schweiz) und Jorinde Voigt (Deutschland). Ein System wird hier als eine Zusammenstellung von Elementen verstanden, die durch Wechselbeziehungen ein Gefüge mit gemeinsamer Funktion bilden.

Lange war das binäre System im westlichen Denken vorherrschend und prägte mit seiner reduktionistischen Logik gesellschaftliche wie biologische Modelle. Nach dem Gesetz der Spiegelung versucht es die Welt in hierarchischen Strukturen abzubilden. Das Eine wird zwei, aus der Wurzel wird ein Baum, so haben es Gilles Deleuze und Felix Guattari in Tausend Plateaus beschrieben. Mit ihrem Vorschlag des Nebenwurzel-Systems verbinden sie Mannigfaltigkeit und Komplexität, die durch expandierende, erobernde Fluchtlinien azentrische Gefüge hervorbringen.

Die Ausstellung “Komplexe Systeme” zeigt zwei künstlerische Einzelpositionen, die unterschiedliche Systeme auf je eigene Weise befragen und für ihre Kunst produktiv nutzen.

Jorinde Voigt (*1977) aus Berlin befasst sich mit vielfältige Phänomenen der kulturellen Umwelt wie Temperaturverläufen, akustischen Impulsen, Windrichtungen, den Farbwerten einzelner Pflanzen oder Inhalten philosophischer Texte und unterzieht diese einer systematischen Analyse. Die daraus gewonnenen Parameter verdichtet die Künstlerin durch dynamische Strichfolgen, turbulente Linienschwünge oder collagierte Farbflächen zu abstrakt diagrammatischen Notationen.

Durch den Zeichnungsvorgang entstehen – den Gefügen von Deleuze und Guattari verwandt – komplexe, vom persönlichen Denk- und Vorstellungsraum der Künstlerin geprägte Beschreibungen heterogener Phänomene der Welt. Die Einzelblätter mit ihren vertikalen Fluchtlinien weisen bereits jene Intensitätszonen auf, die durch die Serien nach gesteigert werden.
Voigts Diagramme legen die systemeignen Operationen dieser Phänomene nur bedingt offen, verweisen vielmehr auf ihr kreativ-zeugendes Potenzial.

Die Sinneseindrücke aus einer speziellen Körperhaltung registrierend, schafft sie Zeichnungen von grosser Komplexität. Als Serien kartografieren sie Welt als offenen Informationsfluss und verdeutlichen die potenzielle Unendlichkeit der Mannigfaltigkeitsproduktion. In Freiburg werden die Serien Inherited Desire, 1-12, (2015), Hauro I und II (2015), Cavallini Algorithmus Triptychon (2015), Infinite Now (2015) gezeigt.

Gabriela Löffel (*1972) lebt in Genf und Bern und beschäftigt sich mit verborgenen Komponenten von staatlichen oder gesellschaftlichen Ordnungsformen. Durch Übersetzungsprozesse, Fragmentierung und sprachliche Verschiebungen geben ihre Arbeiten Einblicke in Mechanismen, die ein System teilweise erst ermöglichen und auf andere Bereiche ausdehnen.

Ausgehend vom Erlebnisbericht eines Kriegstouristen beschäftigt sich Löffel in ihrer Mehrkanal-Videoprojektion “Offscreen” (2012–2013, de 2014) mit der Kommerzialisierung von Krieg durch die Reisebranche und dem dialektischen Verhältnis von Krieg und Kino. Dabei interessiert sie wie die Gesetzmässigkeiten bewaffneter Politik in unserem Alltag in Erscheinung treten und fragt, inwiefern diese durch die Bilderpolitik des Kinos produziert werden. Hierzu setzt sie den Reisebericht des Kriegstouristen, den sie von einem Schauspieler interpretieren ließ, in Verbindung mit Videobildern von den Filmstudios Babelsberg in Potsdam.

In “The Easy Way Out” (2010) untersucht Gabriela Löffel anhand des alltäglichen Sprechens über Kriegserfahrung die Logik von staatlich organisierten Kriegseinsätzen im Ausland. Löffel zeichnete dazu die Alltagsgespräche zwischen einem amerikanischen Soldaten, der soeben aus dem Irak zurückkehrte, mit einer lokalen Hotelbesitzerin und zwei Autoverkäuferin in der Nähe des us-amerikanischen Truppenübungsplatzes in Süddeutschland auf. Im Zentrum der Installation sind auf Leinwänden die drei DolmetscherInnen zu sehen, die die Künstlerin beauftragte, das aufgezeichnete Gespräche simultan aus dem Englisch ins Deutsche zu übersetzen.

In der frühen Arbeit “Fallbeispiel” (2006) geht es um fallende Körper, die dem Betrachter durch ihr unaufhaltsames Stürzen möglicherweise den geschützten Stand und seine Sicherheit entziehen. Die eigentliche Aktion des Sturzes ist im Bild ausgelassen. Sie wird jedoch durch die Tonspur wieder aufgenommen. Die Künstlerin hat die mit Kontakt- und Stethoskopmikrofonen aufgenommenen Körpergeräusche wie inneres Pochen, Vibrieren, Aufschlagen und Streifen durch Bearbeitung verfremdet.

 

Kuratiert von Heidi Brunnschweiler

 

Ausstellung: 13.5-19.6.2016
Öfnungszeiten: Do | Fr 17 h – 20 h | Sa 14 h – 20 h | So 14 h – 18 h

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