Embedded (60)

Bei vielen liegen die Nerven blank – zu viele Krisen, zu viele Konflikte, zu viele Ungeheuerlichkeiten. Der zweite „Lockdown“ hat es in sich – und ist schon am Anfang schwierig.

Solange das Virus in vollen Trams zirkulieren kann, wird es nicht verschwinden... Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Tag 60. Eine Woche zweiter „Lockdown“ in Frankreich. Die Aufmerksamkeit der Menschen ist allerdings für ein paar Tage weniger auf die galoppierende Coronakrise gerichtet, sondern auf die ebenso ungeheuerlichen Vorgänge in den USA. Das lenkt wenigstens ein wenig von der Situation bei uns ab, denn wir Europäer sind mehrheitlich für eine Abwahl des Sonderlings Donald Trump. Die Daumen für Joe Biden zu drücken, das verbindet uns gerade mit vielen anderen. Wo uns gerade ansonsten nicht so viel verbindet.

Die Bilder von bis an die Zähne bewaffneten Trump-Anhängern, die vor Wahllokalen paradieren, machen Angst. Seltsam, dass Extremisten aller Couleur diesen Fimmel mit Vollbärten haben. Bei den US-Identitären sehen die zwar weniger nach dem „Islamischen Staat“, als vielmehr nach ZZ Top aus, aber das ändert nicht viel. Wird es in den kommenden Tagen zu echten Auseinandersetzungen zwischen Biden- und Trump-Anhängern kommen? Die Trump-Anhänger haben das seit Monaten vorbereitete Trump-Narrativ von der Wahlfälschung und der „gestohlenen Wahl“ längst verinnerlicht, für sie ist die Fälschung eine Tatsache. Dementsprechend sind sie auch empfänglich für Aufrufe wie denjenigen von Trump jr. zum „totalen Krieg“. Wie weit wird die Situation in den USA eskalieren, wie sehr werden die Angriffe Trumps auf das westliche Demokratie-Verständnis das Konzept Demokratie selbst beschädigen, auch in anderen Ländern?

Aber dennoch kann man nicht vollständig das verdrängen, was uns diesen zweiten „Lockdown“ eingebrockt hat – das Virus SARS-CoV-2. Das ist nämlich unterwegs wie noch nie zuvor. Gestern in Frankreich – rund 60.000 Neuinfektionen. An einem Tag. Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl einer Stadt wie Valence südlich von Lyon. Oder derjenigen von Offenburg. In Deutschland gab es ebenfalls einen „Rekord“ – 21.503 Neuinfektionen, so viele wie noch nie zuvor an einem Tag. Angesichts der weiterhin explosionsartig steigenden Zahlen stellt sich die Frage, wie wirkungsvoll die getroffenen Maßnahmen sind. Noch ist es zu früh, dies zu beurteilen, denn erst einmal muss die Ansteckungswelle der Herbstferien verarbeitet werden und da sind wir gerade noch in der Inkubationszeit. Aber wie sieht es in ein paar Tagen aus?

Die ersten Patienten aus Krankenhäusern Ostfrankreichs sind tatsächlich bereits nach Deutschland verlegt worden. Das ist solidarisch, das ist europäisch, das ist klasse. Und beunruhigend ist es doch, dass diese Art der Vorbereitung auf die kommenden Tage bereits nötig ist, bevor wir den Höhepunkt dieser zweiten Welle erreicht haben.

Die Stimmung ist deutlich gereizter als beim ersten „Lockdown“, der von einer Art kollektivem Konsens getragen wurde. Dieses Mal applaudiert niemand den Pflegeberufen abends um 20 Uhr auf dem Balkon. Es herrscht ein gereizter, manchmal aggressiver Grundton, der nur eine Woche nach Beginn eines vermutlich deutlich länger dauernden „Lockdowns“ nichts Gutes verheißt. Wir werden es gemeinsam erleben…

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