Embedded (63)
Alle sind sauer. Und alle haben Recht, sauer zu sein. Und dennoch löst das die aktuelle Krise nicht auf, im Gegenteil. Nur – aussitzen werden wir diese Krise nicht können. Aber Lösungen hat niemand anzubieten…
(KL) – Tag 63. Ausgangssperre. Ziemlich streng in Frankreich und da sich die Zahlen nicht entscheidend verbessern, haben nun alle die berechtigte Sorge, dass die aktuellen Maßnahmen sogar noch weiter verschärft werden. Diese Entwicklung gibt Anlass zur Sorge – denn momentan fahren wir nicht nur die Volksgesundheit an die Wand, sondern gleichzeitig die Wirtschaft und das Vertrauen der Menschen in die Politik. Wo, bitteschön, ist hier der Ausgang?
Das Bild in der kleinen Teestube in der Rue du Dôme in Straßburg ist traurig. Hier treffen sich normalerweise jeden Morgen verschiedene Akteure des Lebens in der Stadt, trinken einen starken Espresso und diskutieren die Neuigkeiten in der Stadt. Doch damit ist es vorbei, die Auslagen im Schaufenster biegen sich nicht mehr unter der Last der süßen Versuchungen, Kaffee gibt es nur noch „to go“ und die Mine der Bäckerin wird täglich etwas düsterer. Dabei gehört sie noch zu den „Privilegierten“, die wenigstens noch ihr Geschäft offen lassen können und etwas Geld mit dem Straßenverkauf verdienen. Die meisten anderen Geschäfte der Innenstadt müssen geschlossen bleiben. Aber ein echter Trost ist das auch nicht.
In der Straßburger Innenstadt sieht es so aus wie die ganze letzte Woche. Relativ viele Menschen sind unterwegs, mittags wimmelt die Stadt vor Schülerinnen und Schülern, deren Mittagspause im Dreieck McDo-Kléberplatz-Schule stattfindet und hier freut sich das Virus, da es sich weiter mehr oder weniger ungehindert verbreiten kann. Aber wo soll das alles enden?
Der Einzelhandel in den Städten steht protestierend auf den Hinterbeinen. Einerseits verständlich, denn viele Läden werden in den kommenden Wochen und Monaten das Handtuch werfen. Andererseits – wer wollte jetzt die Entscheidung treffen, andere Maßnahmen zu ergreifen? Wir sind wie gelähmt vor dieser sanitären Krise. Schulen schließen? Das würde die sanitäre Sicherheit steigern, aber die Wirtschaft komplett lahmlegen. Alles öffnen? Das würde das Virus wieder durch die Gegend jagen. Was immer man macht, entweder gefährdet man die Gesundheit der Menschen, die Wirtschaft oder beides. Entscheidungen, die niemand treffen will. Nur – Entscheidungen, die irgendwann irgendwer treffen muss. Denn so kann es nicht ewig weitergehen.
Am Ende der Woche werden wir in Frankreich den ersten „Checkpoint“ erreichen, den ersten Zeitpunkt der Überprüfung der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen. Die Zahlen werden zu diesem Zeitpunkt niederschmetternd sein. Die Krankenhäuser im Land sind schon wieder am Anschlag, es werden Patienten von A nach B und nach C verlegt, um die steigenden Patientenzahlen weiter managen zu können. Trotz gegenteiliger Verlautbarungen ist das Pflegepersonal knapp und muss bereits jetzt Überstunden schieben und ist dabei selbst einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Wir drehen uns im Kreis.
Die öffentlichen Stellen halten sich weiter bedeckt. Auch 6 Tage nach unserer Anfrage an die Präfektur, ob Elsässer nach Deutschland zum Einkaufen dürfen oder zumindest innerhalb des Elsass zum Einkaufen den magischen 1 km-Perimeter überschreiten dürfen, haben wir keine Antwort erhalten. Offenbar möchte man sich auf nichts festlegen, sondern belässt die Situation lieber im Unklaren – die unklare und schwammige Rechtslage erleichtert das Ausstellen von Strafzetteln über 135 €.
Nur, lange werden das die Franzosen nicht mitmachen. Ziviler Ungehorsam gehört zum Tagessport der Franzosen. „Experten“ kombinieren verschiedene Ausgangsgenehmigungen, um den ganzen Tag draußen verbringen zu können. Die Stimmung ist bereits kurz vor dem Nullpunkt. Die kommenden Tage halten noch einige Überraschungen für uns bereit. Und nicht die schönsten. Tag 63. Es wird immer heftiger.
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