Embedded (75)

Noch nie waren wir so Weihnachten wie heute. Und noch nie waren wir so Einzelhandel wie heute. Und noch nie hatten wir mehr Lust, Dampf abzulassen. Bringt aber nix.

Wunderbar, der "virtuelle Weihnachtsmarkt 2020" in der Universumshauptstadt der Weihnacht... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 75. Ausgangssperre. Ein rundes „Jubiläum“. 75 Tage lang waren wir in Frankreich in diesem Jahr bereits weggesperrt und durften das Haus nur mit einer „Ausgangs-Genehmigung“ verlassen. Und das wird noch eine ganze Weile andauern. Angesichts der Unsicherheiten, persönlichen Probleme und beeinträchtigten Zukunftsperspektiven, wird eben gemeckert, geschimpft und demonstriert. Für Weihnachten und den Einzelhandel.

Das Jahr 2020 ist tatsächlich ein ganz anderes Jahr als alle anderen Jahre, die wir je erlebt haben. Erinnern wir uns an die letzten Jahre – ab Mitte November haben wir überlegt, wie wir den Überfall der Verwandtschaft über die Feiertage verhindern könnten, ab Mitte November haben wir darüber gestöhnt, dass sich die Stadt in einen Rummelplatz des Konsums verwandelt hat. Aber dieses Jahr ist alles anders – wir jammern darüber, dass die Schwiegermutter nicht über die Feiertage kommen kann, wir sehnen uns nach den Weihnachtsdekorationen in den Geschäften. Wie so oft, wünschen wir uns am meisten das, was wir gerade nicht bekommen können.

Die aktuelle Pandemie lässt sich offenbar am besten dadurch bekämpfen, dass man soziale (und unsoziale…) Kontakte vermeidet. Ist ja auch logisch. Je weniger Menschen ich treffe, desto geringer sind die Chancen, dass ich mich anstecke oder, falls ich selbst Träger des Virus bin, andere anstecke. Also ist das Gebot der Stunde, Kontakte aller Art zu vermeiden. Auch den mit der Schwiegermutter über die Feiertage. Nur – dieses Jahr haben wir alle ganz besonders Lust, ja, geradezu ein Bedürfnis, eben jene Schwiegermutter für zwei Wochen bei uns zu Hause zu haben. Wir aber nicht gehen. Aber das bedeutet ja nicht, dass Weihnachten ausfällt. Es bedeutet nur, dass Weihnachten dieses Jahr etwas anders aussehen wird, wenn wir wirklich dieses Virus bekämpfen wollen, das uns seit einem Jahr das Leben versauert. Es handelt sich also um eine Abwägung und wer nachdenkt, der wird feststellen, dass es 1000 andere Möglichkeiten gibt, um Weihnachten zu feiern.

Gleiches gilt für Bücher und die Buchhandlungen. Diejenigen, die momentan am lautesten schreien, dass Bücher essentiell sind (wer wollte dem widersprechen?) und dass die Buchhandlungen offen sein sollten, sind in der Regel auch diejenigen, die praktisch nie in eine Buchhandlung gehen, um dort ein Buch zu kaufen. Jetzt, wo sie das tatsächlich nicht können, fehlt es ihnen. Was viele dieser Unzufriedenen noch nicht gemerkt haben, ist dass sie jederzeit auch ohne Amazon Bücher per „Click & Collect“ in der Buchhandlung ihres Vertrauens kaufen können. Nur, es geht vermutlich gar nicht darum, Bücher zu kaufen, sondern vielmehr darum, seiner Unzufriedenheit und seinen Ängsten Luft zu verschaffen. Verständlich, aber wenig zielführend.

Damit uns nicht so sehr auffällt, dass dieses Jahr alles anders ist, gibt es eben ein wenig Etikettenschwindel. So wurden viele der abgesagten Weihnachtsmärkte in Deutschland und Frankreich eben einfach umbenannt. Sie wurden nicht etwa „abgesagt“, sondern verwandelten sich in „virtuelle Weihnachtsmärkte“, denen ungefähr alle Attribute eines „echten“ Weihnachtsmarkt fehlen. Also ab ins Internet, wo man dann bei einem selbst gebrauten Glühwein vor dem Bildschirm Chören beim Absingen von Weihnachtsliedern zuhören und zuschauen kann. Na dann. Tag 75. Ausgangssperre. Und ab dem nächsten Wochenende eine frohe Adventszeit…

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