Embedded. Ausgangssperre Tag 1.

Seit 12 Uhr mittags ist Straßburg eine Geisterstadt in einem Geisterland. Die Ausgangssperre hat das Leben mit einem Schlag völlig verändert.

Seit gestern 12 Uhr liegt eine seltsame Stille über Strassburg. Ausgangssperre. Der Feind ist in der Stadt. Foto: Francis Zaniboni / EJ / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Das erste, das auffällt, ist die Ruhe. Es ist still. Man hört durch das geöffnete Fenster Vogelgezwitscher, entfernt das Radio eines Nachbarn, und sonst gar nichts. Keine Tram, keine Autos, keine Sirenen, keine Maschinen, nichts. Stille. Alleine mit dem Coronavirus. Wie Urlaub, nur dass dies kein Urlaub ist. Zunächst für 15 Tage, aber es wäre ein Wunder, wäre diese Pandemie in 15 Tagen eingedämmt oder gar überwunden. Das, was heute anfängt, wird wahrscheinlich länger dauern.

Am Vormittag lag eine seltsame Geschäftigkeit in der Luft, ein wenig wie am Morgen des 24. Dezember, wenn noch Menschen auf der Suche nach dem vergessenen Weihnachtsgeschenk durch die Straßen hasten. Vor den Lebensmittelgeschäften warten Schlangen, wie schon an den Tagen zuvor. Abstand zwischen den Menschen, niemand spricht, die meisten haben Masken vor dem Gesicht – das war noch vor zwei Tagen ganz anders. Letzte Einkäufe. Man weiß ja nie. Leere Straßenbahnen poltern durch die Stadt, und das Quietschen in den Kurven erscheint viel lauter als sonst.

Um 10 Uhr, Kléber-Platz. Dort, wo man sonst in der Sonne sitzen, dösen, mit Freunden sprechen oder einen Kaffee trinken würde, bleibt niemand mehr sitzen. Die Terrassen sind geschlossen und zwei Stunden vor Ausgangssperre trödelt man nicht in der Innenstadt herum. Ab morgen sollen 100 000 Soldaten im ganzen Land die Einhaltung der Ausgangssperre kontrollieren. Und bei „unbefugtem Unterwegssein“ ein Verwarnungsgeld von 38 Euro verhängen, das dann später auf 135 Euro aufgebohrt werden soll. Aber anders lässt sich eine totale Ausgangssperre wohl auch nicht aufrecht halten.

Die meisten Bekannten arbeiten jetzt von zuhause aus. Viele betreuen dabei auch die Kinder, da ja alle Einrichtungen geschlossen sind. Schon ab 12:15 Uhr laufen die sozialen Netzwerke an, es wird viel telefoniert. „Distanzieren, aber nicht trennen“ heißt die neue Losung. Gerade jetzt sind Kontakte wichtig. Wie geht’s dir? OK.

Aus den Krankenhäusern kommen erschreckende Berichte aus erster Hand. So ist es, wenn man „embedded“ ist, die Berichte kommen aus erster Hand. Eine befreundete Krankenschwester berichtet von Arbeitsalltag im völlig überlasteten Krankenhaus, das schon jetzt jenseits der Kapazitäten arbeitet. Riesige Hingabe des Pflegepersonals und der Ärzte. Jetzt darf es nur nicht mehr schlimmer werden. Das wird es aber, denn die Fallzahlen steigen inzwischen exponentiell. Die Armee will ein Land-Lazarett im Elsass einrichten. Soldaten sollen dann auch Notfälle in andere Regionen transportieren, in denen es noch Kapazitäten gibt. Wie hatte Präsident Macron gesagt? „Wir sind im Krieg“.

Wie in Kriegszeiten wird nun auch der Verkehr rationiert. Es fahren dann kaum noch Züge und heben kaum noch Flugzeuge ab. Das fällt allerdings niemandem mehr auf, da ohnehin keiner ‘raus darf. Geschweige denn, eine Reise antreten. Wohin auch? Alles ist geschlossen…

Und wir sitzen mitten drin, in der „internationalen Risikozone“. Aber das wird auch nicht mehr lange dauern, bis auch andere Regionen „internationale Risikozone“ sind. Wir werden erst dann wieder normal leben können, wenn zwei Drittel aller Menschen das Virus bekommen haben, denn erst dann kann die Ansteckungsquote zwischen Menschen auf weniger als 1 angesteckte Person pro infizierter Person sinken und ab dem Zeitpunkt wird die Entwicklung des Virus rückläufig sein. In der Region Hubei und in Hong Kong scheint diese Strategie zu funktionieren. Hoffen wir, dass sie auch bei uns funktioniert.

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