Embedded. Ausgangssperre, Tag 16. Me, myself and I.

Die Tage vergehen, ich bin bereits am 9. Tag meiner ganz persönlichen Begegnung mit diesem Drecksvirus. Und weiterhin gilt, seid vorsichtig, schützt euch, es ist lange nicht vorbei!

Die Ausgangssperre ufert zur Nabelschau aus... Foto: graphicrecording.cool im Auftrag von Wikimedia Deutschland e.V. / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 16. Wenn ich mit Freunden in Deutschland telefoniere, merke ich immer wieder, dass diese es seltsam finden, wie strikt die Maßnahmen in Frankreich gehandhabt werden, dass man das in Deutschland dann doch etwas lockerer sieht. Ein wenig Abstand halten, und ansonsten regt man sich nicht sonderlich auf, höchstens darüber, dass Geschäfte geschlossen sind und die Stammkneipe nicht offen hat. Ansonsten sähe man es gerne, würde man jetzt zum Ende kommen und mit diesen ohnehin völlig überflüssigen Maßnahmen aufhören. Diese entspannte Haltung wird leider dafür Sorgen, dass Covid-19 in Deutschland mit etwas Verspätung ebenso heftig zuschlagen wird wie in Norditalien und dem Elsass. Und genau dort sitze ich, verfolge jeden Tag meine eigene Entwicklung und merke, dass ich langsam anfange, in einer Dauer-Nabelschau einzuschwenken.

Das ist allerdings zweischneidig. Einerseits ist es unabdingbar, die Entwicklung der eigenen Krankheit aufmerksam zu verfolgen, alleine schon dafür, dass man den richtigen Zeitpunkt nicht verpasst, zu dem man eventuell externe Hilfe holen muss (auf meinem Handy ist die Notfallnummer eingespeichert, mit einem entsprechenden Text, so dass ich, sollte sich der Zustand schnell und heftig verschlechtern, nur auf die Taste „Send“ drücken muss), denn auch hier ist alles eine Frage der Abwägung. Bisher habe ich noch keine Notfallnummer angerufen, auch nicht, wenn’s nicht so toll ging, denn ich weiß, dass es Tausende schlimmere Fälle gibt und es nicht sein kann, dass man Notfallnummern für diejenigen blockiert, bei denen es gerade auf Minuten ankommt. Andererseits darf man bei einer Verschlechterung nicht zu lange warten, denn wenn man den richtigen Zeitpunkt verpasst Hilfe zu holen, könnte das ein Fehler sein, den man ewig bedauert…

Also sitze ich in meinem ganz persönlichen Confinement, mit meinem ganz persönlichen SARS-CoV-2, der sich freundlicherweise wohl ganz auf mich eingestellt hat, und me, myself und ich wechseln uns in der Beobachtung ab. Jedes Räuspern wird registriert, sechs Mal am Tag Fieber gemessen, jede Hustenattacke sorgenvoll beobachtet, als sei man es gar nicht selbst, der da hustet. Ich schenke mir deutlich mehr Aufmerksamkeit, als mit gut tut. Doch am 16. Tag des Alleine-eingeschlossen-Seins, fehlt die Ablenkung, zumal an Tag 1 der Ausgangssperre mein Fernseher den Geist aufgegeben hat. Die programmierte Obsoleszenz hat manchmal schon fast etwas Witziges.

Die Sorge vieler Freunde wirft mich auch immer wieder auf mich zurück. Es ist unglaublich aufbauend, unendlich positiv, wenn ich merke, dass sich viele Menschen um mich Sorgen machen, nicht nur diejenigen, von denen ich es eigentlich auch erwartet hätte. Ich bin gesegnet mit guten Freunden und auch mit welchen, die sich genau in dieser Krise als solche erweisen. Das ist eine wunderschöne Erfahrung, von der ich hoffentlich möglichst viel in die Zeit nach Corona mitnehmen kann, nur – in allen Gesprächen geht es nur um mich. Und meine Symptome. Und deren Schwere. Und daraus wird dann meistens eine erweiterte Nabelschau.

In Frankreich sind meine Freunde „confiné“, kein Thema. Wir telefonieren, schicken uns Messages, das Netzwerk funktioniert. In Deutschland, trotz der hier und da geltenden Beschränkungen, sind meine Freude munter unterwegs, genießen den Frühling und diskutieren darüber, ab wann man wieder alles auf „normal“ stellen kann. Liebe deutsche Freunde, glaubt nicht, dass dieser Kelch an euch vorbei gegangen ist. Auch bei euch steigt die Letalitätsrate und ihr seid einfach nur ein wenig später dran. Der Umstand, dass viele von euch die Vorgaben nicht einhalten, wird euch leider sehr teuer zu stehen kommen. Was heute Leichtigkeit des Seins ohne Masken und mit Freunden in netter Runde ist, kann sich morgen in den gleichen Albtraum verwandeln, den wir gerade erleben. Wie anderswo auch, wird es nicht der Staat sein, der euch retten kann und wird. Gegen dieses Drecksvirus hilft nur, wenn alle, jeder und jede einzelne diese Maßgaben erfüllt. Wer meint, sich nicht daran halten zu müssen, der öffnet der Epidemie Tür und Tor. Und wer jetzt noch glaubt, es handele sich doch eh nur um eine kleine Grippe und Deutschland wäre aufgrund seiner technischen Überlegenheit und einer Übermenschen-Konstitution geschützt, der täuscht sich. April/Juni wird in Deutschland katastrophal sein und das kann man nur abfedern, wenn man sofort handelt und die Vorgaben konsequent umsetzt. Denn ansonsten geht es euch bald wie mir und ihr erlebt wochenlang das, was an Tag 16 meine Situation ist. Alleine, mit einem Virus im Körper und ansonsten mit me, myself and I.

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