Embedded. Ausgangssperre, Tag 17. Wie Leprakranke…

Das „Social Distancing“ und andere Maßnahmen sind unumgänglich, um die Ausbreitung des SARS-CoV-2 zu verlangsamen. Aber es fühlt sich immer noch seltsam an.

Abstand halten, gardez vos distances, keep your distance - in wie vielen Sprachen denn noch?! Foto: UK Government / Wikimedia Commons / OGL v1.0

(KL) – Gestern klingelte es an meiner Tür. Zum ersten Mal seit 17 Tagen. Da das so ungewöhnlich war, schaute ich erst durch das Guckloch in der Tür und da stand eine meiner Nachbarinnen. Ich mag meine Nachbarinnen. Auf meinem Stockwerk wohnen praktisch nur ältere Witwen, der Altersdurchschnitt dürfte bei 82 Jahren liegen. Ich öffnete die Tür einen Spalt und die weißhaarige Dame machte einen Schritt auf die Tür zu und wollte etwas sagen. Doch so weit kam sie nicht.

Reflexartig machte ich eine abwehrende Handbewegung, von der mir später auffiel, dass es die gleiche Handbewegung war, mit der die Kranken auf der Lepra-Insel in dem großartigen Film „Papillon“ mit Steve McQueen und Dustin Hoffmann Nicht-Kranke vor dem Näherkommen warnen. Ohne, dass ich ein Wort gesagt hätte, machte die alte Dame zwei schnelle Schritt nach hinten und flüsterte „Sie auch?“. Ich nickte. Sie nickte verständnisvoll und ging schnell zum Aufzug. Spontan hatten wir beide völlig richtig gehandelt. Ich schleppe nun schon am 10. Tag dieses hässliche Virus mit mir herum und meine Nachbarinnen gehören samt und sonders zur Top-Risikogruppe und zum aktuellen Zeitpunkt dürfen wir uns tatsächlich kein bisschen nähern. Doch seltsam fühlte es sich dennoch an.

Am Nachmittag machte ein befreundeter Fotograf, Nicolas R., ein paar Einkäufe für mich (merci vielmals, Nico! auch, wenn ich mich plötzlich selber sehr alt fühlte, weil jemand für mich Einkäufe machte…) und, mitdenkend, nahm ich die Treppe vom 5. Stock, um den alten Damen nicht den Aufzug zu verseuchen. Genau das war der Fehler. Wie es in solchen Mietshäusern eben ist, wird jeder Schritt überwacht. Die Alte-Damen-Riege funktioniert besser als der KGB. Obwohl ich Mundschutz und Handschuhe trug, wartete im Erdgeschoss bereits eine der alten Damen, die mich anfauchte, ich hätte im Hausflur nichts zu suchen. Der Hinweis, dass ich voll geschützt sei und wenig Lust hätte, zu verhungern und zu verdursten, nützte wenig. Nico stellte die Einkäufe brav vor die Tür, ging zurück, ich ging auf die Vorterrasse hinaus und wir unterhielten und noch ein paar Minuten auf große Distanz.

Was tat das gut, ein wenig an der frischen Luft zu sein und das Sonnenlicht zu tanken! Mit einem Freund reden, einem menschlichen Wesen! Als ich wieder in den Hausflut kam, erwartete mich schon ein ganzes Spalier von alten Damen, die mich böse anzischten, bis ich wieder das Abstand-Zeichen machte. Es wäre für die Mädels sicher sicherer gewesen, wären sie in ihren Wohnungen geblieben, denn zum böse Zischen kamen sie dann doch für meinen Geschmack ein wenig zu nah heran. Ich flüchtete mit meinen Einkäufen in den Aufzug und atmete durch, als sich die Tür schloss. Oben angekommen, war ich völlig außer Atem, der kleine Ausflug hatte mich geschafft. Ich fühlte mich so alt wie die Nachbarinnen, hatte aber wieder Kaffee und ein paar andere wichtige Dinge.

Kleine Geschichten, die in einer gelähmten Stadt zu großen Anekdoten werden. Alles bekommt eine andere Bedeutung als noch vor zwei Wochen. Im Guten wie im Schlechten. Tag 17. Sich wie ein Lepra-Kranker zu fühlen, ist wirklich nicht angenehm. Keine Sorge, morgen geht’s weiter. Und noch eine ganze Weile länger.

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