Embedded. Ausgangssperre, Tag 19. Informations-Konsum

Nach 19 Tagen des „Confinement“ gehen viele psychologisch bereits auf dem Zahnfleisch. Ich auch. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, eine Strategie zum Konsum von Informationen zu entwickeln.

SIE sollten das Fernsehen beherrschen und nicht umgekehrt! Foto: César Pérez / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Gestern morgen wachte ich auf, hatte einen (kurzen) Hustenanfall und machte mir den ersten Kaffee des Tages. Bei dem schönen Frühlingswetter trank ich ihn auf dem Balkon, in der noch frischen Morgensonne, ein Moment des relativen Friedens. Doch gleichzeitig machte ich einen Fehler – ich schaute auf den Bildschirm meines Handys. Ein Reflex, denn das Handy ist, zusammen mit dem Internet, meine letzte Verbindung zur Außenwelt. Doch diese will in den kommenden Wochen und Monaten sinnvoll gehandhabt werden.

Zu den morgendlichen Nachrichten gehörten 7 (!) Videos einer Bekannten, die es ohne Zweifel gut mit mir meint und ihre neuesten Erkenntnisse aus den Massenmedien mit mir teilen wollte. „Siehst du, man soll gar keine Masken tragen, das schreiben sie!“ Andere schickten mit Textnachrichten, in denen sie sich völlig zurecht über die neue Anordnung ereiferten, die in Frankreich einen Tabubruch erlaubt – die Euthanasie. Und jede Menge weiterer Nachrichten, die sich, natürlich, alle um ein Thema drehten – Covid-19. Ein Thema, das, treue Leserinnen und Leser wissen das, mich auch persönlich stark interessiert. Nur – wohin soll ich, direkt nach dem Aufstehen, diese Informationen hinpacken? Geschweige denn, sie verarbeiten?

Am Anfang dieser Krise habe ich das auch gemacht – 24 Stunden am Tag vor den Live-Tickern, jede Stunde die aktualisierten Zahlen, die unendlich vielen „Anekdoten“, widersprüchliche Aussagen, skandalöses Verhalten – ich klebte förmlich vor den Tickern und hatte auf meinen Computer gleich mehrere Fenster mit Nachrichten-Sites aus verschiedenen Ländern geöffnet.

Abends, vor dem zumeist vergeblichen Versuch schlafen zu gehen, las ich noch das letzte Update des Tages – und konnte dann oft nicht einschlafen oder, wenn Morpheus mich dann doch in die Arme nahm, hatte ich Albträume. Doch jetzt handhabe ich das anders.

Ich zwinge mich zu einer anderen Disziplin, einer Disziplin im Konsum von Nachrichten. Ich schaue mir noch zwei- oder maximal dreimal am Tag die Covid-19-Nachrichten an und stelle fest, das reicht. Die Live-Ticker bieten den Vorteil, dass man durch einfaches Scrollen auch alle Informationen darüber findet, was in den letzten Stunden passiert ist. Die Zahlen überfliege ich nur noch, denn ich traue ihnen nicht, aber sie erlauben das Ablesen von Entwicklungen und das reicht mir. Und, das vielleicht Wichtigste in dieser Disziplin, ich definiere jeden Tag eine Uhrzeit am Abend, ab der ich keinerlei Nachrichten und keinerlei Videos schaue, keine Diskussionen in den sozialen Netzen mehr lese und dieses verdammte Virus schlicht ausblende, auch wenn das natürlich nie zu 100 % funktioniert. Die Uhrzeit, zu der ich meinen persönlichen Informations-Stopp starte, variiert, je nach dem, ob ich tagsüber geschlafen habe oder nicht.

Die erste Erfahrung mit diesem neuen System zeigt, dass ich nichts verpasse. Covid-19 ist ein zuverlässiger Begleiter, der auch am nächsten Morgen noch da ist, insofern ist es geradezu überflüssig, sich seine Nachrichten noch am späten Abend oder gar in der Nacht anzutun.

Angesichts der Tatsache, dass uns dieses Virus und voraussichtlich auch das „Confinement“ noch lange begleiten werden, ist es unerlässlich, einen Umgang damit zu finden. Denn bereits jetzt dreht der eine oder andere durch. Erschwert wird der Informations-Konsum auch dadurch, dass man zu jeder Information auch das genaue Gegenteil liest, dass der intensive Informations-Konsum auch für höchste Verwirrung einer bereits heute stark traumatisierten Bevölkerung beiträgt. Doch ist auch klar, dass wenn man versucht, unter dem Eindruck dieser Horror-Informationen einzuschlafen, der Schlaf nicht erholsam ist, sondern unruhig und bei vielen Menschen von Albträumen geprägt, wenn man denn überhaupt Schlaf findet.

Das ist der Zustand nach 19 Tagen des „Confinement“, das wir übrigens mit Milliarden Menschen auf der Welt teilen. Doch wie wird es an Tag 28 sein, an Tag 35 oder Tag 50? Wir müssen JETZT persönliche Strategien zum Umgang mit all diesen widersprüchlichen Informationen, Videos, Fotos und Regierungserklärungen finden, denn ansonsten werden wir alle am Ende des „Confinement“ psychologische Wracks sein.

Persönlich mache ich das so: Nach meiner eigenen Zeitschranke am Abend, schaue ich mir auf dem Tablett vorzugsweise Naturdokumentationen aus den Mediatheken wie ARTE oder den dritten Fernsehprogrammen an. Eine Dokumentation über den Lauf des Rheins, von der Quelle bis zur Mündung, eine Dokumentation über die von mir geliebte Nordsee, eine Tierdokumentation – schöne, leichte, positive Kost. Und wenn dann so nach einer Dreiviertelstunde die Augenlider langsam schwer werden, dann klappe ich das Tablett zu und schlafe ein, unter dem Eindruck dieser wunderschönen Bilder und nicht etwa unter dem Eindruck von Bildern von leidenden Menschen, die an Atemapparate angeschlossen sind und die von Marsmenschen umringt sind.

Natürlich ist das nur meine Strategie, andere Menschen können sich mit anderen Dingen besser beruhigen. Aber das Prinzip stimmt – hören Sie auf, vor dem Schlafengehen noch die letzten Horrornachrichten zu konsumieren, lassen Sie sich nicht den ganzen Tag lang von schlimmen Nachrichten berieseln! Ich garantiere Ihnen, wenn Sie Stunden später wieder nachschauen, ist das Virus mit all seinen schlimmen Begleiterscheinungen immer noch da! Sie verpassen nichts! Aber vielleicht können Sie selbst dazu beitragen, dass Sie nicht in eine schwere Depression rutschen. Nur so, als ganz persönlicher Tipp. Tag 19, wir müssen lernen, mit den Bildern und Informationen umzugehen. Denn das alles wird noch dauern.

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