Embedded. Ausgangssperre, Tag 23. Warten auf Godot.

Bei den meisten „Konfinierten“ liegen mittlerweile die Nerven blank. Und alle warten gespannt auf die TV-Ansprache von Präsident Macron - die erst am Montag stattfindet. Immer schön die Spannung aufrecht erhalten...

Viele Franzosen warten auf Präsident Macron wie auf Godot, in der Hoffnung, dass es Klarheit gibt. Ob es diese wirklich heute Abend geben wird? Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 23. Wer von uns hätte je gedacht, die Welt in einem derartigen Stillstand zu erleben? Abgesehen vom morgendlichen Husten und anderen leichten Symptomen merke ich, dass sich mein ganz persönliches Virus langsam auf den Abschied vorbereitet. Nach 18 Tagen ist das auch höchste Zeit. Und da sich das Ende meiner Infektion nähert, warte ich genauso gespannt wie alle anderen auf die TV-Ansprache von Präsident Macron am Montag. Dann wird er mitteilen, wie es am Dienstag weitergeht. Ist es eigentlich so witzig, seine Landsleute bis zur letzten Sekunde im Unklaren zu lassen?

Wären die Wettbüros geöffnet, könnte man jetzt toll wetten. Aufhebung der Ausgangssperre nach Ostern, Anfang Mai, zunächst auf zwei, vier oder sechs Wochen verschoben, schrittweise Aufhebung, die dort beginnen könnte, wo sich das SARS-CoV-2 zuerst ausgetobt hat, nämlich im Elsass – niemand kann es jetzt schon sagen. Oder ob der Präsident die Ausgangssperre erst einmal wieder um zwei Wochen verschiebt, zusammen mit der pädagogischen Ansage, dass wenn alle brav sind, man dann schon an eine Aufhebung denken könnte?

Für pädagogische Ansprachen ist der Präsident allerdings grade nicht so richtig glaubwürdig. Vorgestern nahm er nach einem Besuch in einem Krankenhaus in Saint-Denis, nördlich von Paris gelegen und einer der Orte mit der höchsten Infektionsrate in ganz Frankreich, ein Bad in der Menge. Zusammen mit seinem präsidialen Tross von Sicherheitsleuten, Beratern und anderen Ohrenbläsern. Ein Bad in der Menge. Weder seine Leute, noch die Bürgerinnen und Bürger, denen er dort begegnete, trugen Masken oder Handschuhe und in der dicht gedrängelten Menschentraube konnte von Sicherheitsabstand keine Rede sein. Wären anständige Polizisten in der Nähe gewesen, hätte es Strafzettel hageln müssen. Die Botschaft an seine Landsleute war fatal: „Ihr müsst bei Strafe diszipliniert sein, aber im Grunde ist alles gar nicht so schlimm. Schaut her, ich muss bei meinem Bad in der Menge keinerlei Sicherheitsabstand halten oder gar eine Maske tragen!“ Die seit über drei Wochen in ihren Wohnungen eingeschlossenen Menschen kochen. Aber ganz offensichtlich gibt es im Präsidentenpalast keine Berater mehr, die ihr Gehalt wert wären – irgendjemand hätte den Präsidenten ja darauf hinweisen können, dass er gerade den nächsten Faux Pas in einer langen Reihe solcher Aussetzer produziert.

Die Leute wollen ‘raus. ‘Raus aus der Einsamkeit ihrer Wohnungen, ‘raus aus der Stille der toten Städte, ‘raus aus dem Ausnahmezustand, ‘raus aus der Angst, und hinein in die Wärme und die Farben des Frühlings, hinein in die Normalität, hinein ins Vergessen und Verdrängen dieses nie erahnten Traumas. Nur, eine solch mörderische Epidemie lässt sich eben nicht per präsidialem Erlass beschließen, das haben bereits die Chinesen versucht, mit dem Erfolg, den wir kennen.

Was wird Macron am Montagabend erzählen? Wieder einmal, dass das Land perfekt aufgestellt und organisiert sei? Für die Coronakrise stimmt das nicht, wohl aber für die Zeit danach. Zwei Monate lang war die Regierung nicht in der Lage, einen so simplen Artikel wie Gesichtsmasken in ausreichender Menge zu ordern, nach letzten Erklärungen sollen nun massenhaft Gesichtsmasken Ende Juni in Frankreich eintreffen. Das ist in zweieinhalb Monaten! Und bedeutet im Klartext, dass es jetzt, mitten in der Krise, leider nichts mehr wird mit den Masken.

Aber für die Zeit danach ist die Regierung bestens aufgestellt. Denn das, was für die Gesichtsmasken nicht so richtig geklappt hat, wurde nach einem Bericht des Magazins „Marianne“ meisterhaft für etwas ganz anderes erfolgreich abgewickelt – die Regierung hat einen Vorrat von Tränengasgranaten angelegt, für die es weder Budget- noch Logistikprobleme gab und zwar einen Vorrat für ganze vier Jahre. Vier Jahre? Seine Amtszeit dauert noch zwei Jahre. Da scheint der Präsident ja noch einiges vorzuhaben. Diese Tränengasgranaten dienen natürlich dazu, bereits seit November 2018, das unzufriedene und demonstrierende Volk in Schach zu halten. Das ist schon bemerkenswert – die Behörden versagen völlig, wenn es darum geht, einen einfachen Schutzartikel für die Bevölkerung zu organisieren, aber sie funktionieren hervorragend, wenn es darum geht, ein Waffenarsenal zur Bekämpfung des eigenen Volks anzulegen. Da mag sich dann jeder seinen eigenen Reim darauf machen.

Tag 23, alle warten gespannt auf Macron. Oder auf Godot. Denn ähnlich wie in Samuel Becketts genialem Stück könnte es durchaus sein, dass die Franzosen und Französinnen am Montag erneut vergeblich auf das warten, was sie gerade so dringend brauchen – Transparenz und eine klare Ansage, wie es weitergeht.

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