Embedded. Ausgangssperre, Tag 29. Die 17.

Die französische Notrufnummer, über die man direkt die Polizei erreicht, ist die 17. Und diese Nummer ist gerade ständig überlaufen. Nicht etwa, weil es so viele Notfälle gibt, sondern aufgrund eines neuen Volkssports.

Manch Zeitgenosse fühlt sich in diesen Tagen zum Viertelsspion berufen... Foto: Holger Ellgaard, Hellmuth Ellgaard / Wikimedeia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Tag 29, au weia. Die Polizei bittet die Bevölkerung, doch die Notfallnummer 17 für Anrufe frei zu lassen, bei denen es wirklich Notrufe gibt. Denn seit Beginn der Ausgangssperre haben zahlreiche anständige Bürgerinnen und Bürger einen neuen Volkssport entdeckt – das Anschwärzen ihrer Mitmenschen. Permanent rufen Zeitgenossen mit einer zweifelhaften Blockwart-Mentalität bei der Polizei an, um vermeintliche oder echte Verstöße gegen die Ausgangsregeln oder ganz einfach Dinge zu melden, die ihnen nicht passen. Die Langeweile nach 29 Tagen Ausgangssperre verwandelt den einen oder anderen in ein Monster des Alltags.

Sie sitzen hinter ihren Fenstern und überwachen die Nachbarschaft durch einen kleinen Gardinenspalt, sie kontrollieren durch den Sichtspion den Hausflur und manch einer hat seinen angestaubten Feldstecher herausgeholt, um auch noch ein paar Häuser weiter überprüfen zu können, ob denn auch überall alles mit rechten Dingen zugeht. Dazu spielen sie sich gerne auch selber als Hilfssheriffs auf, die dann handgreiflich werden, wenn die Ordnungshüter nicht rechtzeitig mit Blaulicht vor Ort sind.

Ein guter Freund von mir, der Pressefotograf ist, muss in diesen Wochen viel draußen unterwegs sein. Er fotografiert in Krankenhäusern, aber auch Transporte, Geschäfte und Warteschlangen, kurz, er dokumentiert das Leben in einer gelähmten Stadt. Das ist eine wichtige Funktion, damit die daheim sitzenden Menschen mitbekommen, was draußen los ist. Selbstverständlich verfügt er über einen Presseausweis und die entsprechenden Genehmigungen, sich draußen aufzuhalten. Aber – seinem persönlichen Blockwart erschienen diese Aufenthalte im Freien zu viel zu sein. Also wählte er als anständiger Bürger die 17. Als die Polizei eintraf, war es doch etwas peinlich, denn mein Freund kennt als offizieller Fotograf viele der Polizisten vom Sehen und die kennen ihn. Der Blockwart wurde von den Polizisten scharf zurecht gewiesen und mein Freund konnte arbeiten gehen.

Von solchen Anekdoten gibt es sehr viele. So viele, dass die Polizei tatsächlich die Bürgerinnen und Bürger gebeten hat, die Finger von der 17 zu lassen, denn auch zu Zeiten der Ausgangssperre gibt es echte Notfälle. Zum Beispiel im Bereich der häuslichen Gewalt. Und dort macht es mehr Sinn einzugreifen als bei Petz-Aktionen frustrierter und gelangweilter Zeitgenossen. Dazu, so die Polizei, ist sie massiv vor Ort unterwegs und kontrolliert, dass diejenigen, die sich draußen aufhalten, dies auch tatsächlich dürfen.

Während sich viele Bürgerinnen und Bürger sozial engagieren, bedürftigen Mitmenschen helfen, Gesichtsmasken nähen, mit dem 3D-Drucker Gesichtsmasken für Krankenschwestern und andere Hilfsberufe herstellen, Sachspenden sammeln und verteilen und zeigen, wie viel Gutes und Empathisches in dieser Gesellschaft steckt, vergiften diese Wadenbeisser die Atmosphäre. Das ist nicht nur widerlich, sondern auch hochgradig dumm. Denn eines Tages wird diese Ausgangssperre vorbei sein, doch diesen Leuten wird auch dann noch das Blockwart-Image nachhängen. In einer Stadt, in der es so etwas tatsächlich vor einem Dreiviertel-Jahrhundert unter einer fremden Besatzungsmacht gegeben hat, werden diese Leute dann nicht mehr sehr positiv in ihrem Viertel angesehen sein.

Tag 29, die Menschen zeigen immer deutlicher, wer sie wirklich sind. Die Spannweite reicht von Helden des Alltags zu, sorry, ziemlichen Arschlöchern.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste