Embedded. Ausgangssperre, Tag 35. Und die Sportschau?

Jahrzehnte lang gab es samstags einen nicht verhandelbaren Termin, selbst hier in Straßburg. Von 18 bis 20 war Sportschau-Zeit und ein Samstag ohne das „,n'ahmd allerseits... von Heribert Fassbinder war undenkbar...

Bundesliga ohne Zuschauer? Total blöd. Dann lieber kein Fussball... Foto: Dronepicr / Wikimedia Commons / CC-BY 3.0

(KL) – Tag 35 und in den Nachrichten von der deutschen Seite hört man, dass die Politik (und natürlich die Vereine) schon bald wieder den Fußball rollen lassen wollen. Dabei haben wir gerade erst die Entzugsphase hinter uns und uns an ein Leben ohne Profi- Fußball gewöhnt. Das war ja schon schwer genug, denn die Sportschau am Samstag hatte etwas Unverrückbares. Aber jetzt?

Ich gebe es zu, es hat in meinem Leben schon Streit mit meinen Beziehungen gegeben, da diese die Bedeutung der Sportschau für mich nicht nachvollziehen konnten oder wollten. Ab Samstag 15h30, dem Anpfiff der samstäglichen Bundesliga-Spiele, war Informationssperre und Internetverbot, um ja nicht die Ergebnisse der Spiele vor der Sportschau zu erfahren und damit die Spannung zu töten. Ein am Samstag zwischen 17h15 und 18 Uhr fröhlich geträllertes „Ach, übrigens, dein Sportclub Freiburg hat in Bremen verloren. Eins zu drei, glaub’ ich, hab’s grad im Radio gehört, musst dich nicht bedanken“, konnte die Stimmung für den Rest des Samstags und Teile des Sonntags vollständig ruinieren.

Sportschau, das war immer mehr als Sportschau. Als Kind gab es in der Zeit am Samstag zwischen 18 und 20 Uhr einen stillschweigend vereinbarten Waffenstillstand in der Familie, ähnlich wie bei den ersten WMs, die man bei uns noch auf einem kleinen SABA-Fernseher in schwarz-weiß verfolgte. Sorry an die jüngeren Leser, die grade nicht mehr verstehen, wovon ich hier schreibe… Doch seit mehr als einem Monat gibt es keinen Fußball mehr. Keine flockigen Moderatorensprüche, keine Spielzusammenfassungen, bei denen man versuchte, anhand der Kommentare abzulesen, wie das Spiel wohl ausgehen könnte.

Und jetzt, wo wir uns gerade daran gewöhnt haben, dass es keinen Fußball und auch keinen anderen Sport mehr im Fernsehen (bei mir, auf dem Tablet) gibt, in einem Moment, in dem wir gerade merken, dass wir gar keinen TV-Sport zum Leben brauchen, da wollen sie „Geisterspiele“ einführen. Bundesliga-Kicks vor leeren Rängen. Das darf ja wohl nicht wahr sein.

Opium fürs immer grantiger werdende Volk. Koste es, was es wolle. Die Saison muss zu Ende gespielt werden. Zur Not ohne Zuschauer. Die können dann ja die völlig stimmungslosen Kicks in der Sportschau oder auf Sky verfolgen. Na klasse. Wer schon einmal in der 25.000 Zuschauer fassenden Südtribüne im Dortmunder Stadion gestanden ist, der weiß, dass der Begriff „12. Mann“ kein leerer Spruch ist. Der Profi-Fußball lebt von dieser Stimmung und die Atmosphäre in einem Bundesliga-Stadion ist fester Bestandteil des Spektakels. Aber Kicks vor leeren Rängen? Damit alle finanziell auf ihre Kosten kommen?

Es stellt sich aber auch die Frage der sanitären Sicherheit, insbesondere da man weiß, dass nach dem Champions League-Spiel FC Valencia – Juventus Turin das SARS-CoV-2 seine Odyssee durch ganz Europa angetreten hatte. Diejenigen, die sich nicht mehr so richtig erinnern, was Fußball eigentlich genau ist, denen sei in Erinnerung gerufen, dass es sich um einen Kontaktsport handelt, bei dem nur schwer ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einzuhalten ist. Das ist bisher nur einmal gelungen, bei einem denkwürdigen 0:0 im Jahr 1982 in der Vorrunde der WM in Gijon, als sich Deutschland und Österreich 90 Minuten lang den Ball hin und her schoben, denn jedes andere Ergebnis hätte dazu geführt, dass Algerien in die KO-Runde eingezogen wäre und eines der beiden deutschsprachigen Teams ausgeschieden wäre. Bei diesem Spiel kam dann auch nicht so richtig Stimmung auf; auch, wenn beide Team tapfer ihr social distancing einhielten. In der Bundesliga wäre das wohl nicht machbar.

Es wäre schon nett, würde mit der samstäglichen Sportschau wieder ein Fixpunkt ins konfinierte Leben einziehen. Oder, wie Markus Söder richtig sagte, „ein Wochenende mit Fußball ist auf jeden Fall netter als ein Wochenende ohne Fußball“. Doch Fußball ist zur Nebensächlichkeit geworden, es gibt nun momentan einfach wichtigere Themen. Tag 35 und ich habe gerade beschlossen, zukünftig nur noch Amateur-Fußball anzuschauen. Wenn überhaupt. Und auch nur, falls ich mir mal wieder einen Fernseher zulegen sollte. Was nach 35 Tagen ohne Fernseher immer unwahrscheinlicher wird…

4 Kommentare zu Embedded. Ausgangssperre, Tag 35. Und die Sportschau?

  1. Michael Magercord // 21. April 2020 um 11:32 // Antworten

    Lieber Kai,
    auch auf die Gefahr hin, als elender Besserwisser dazustehen, doch kann ich als Sportreporter vom Eurojournalist diese kleine Richtigstellung nicht unterlassen: Gijon, 25. Juni 1982 – Deutschland vs. Österreich 1:0. Tor in der 11. Minute durch Horst Hrubesch. Das Ergebnis genügte beiden Mannschaften. Danach bestimmte – wie die Spieler beider Teams bekundeten – “Taktik” die sozial-distanzierte Spielweise. Andere sprachen von der Schande von Gijon, in spanischen Zeitungen hieß es damals: “Le Anschluss”. Wie auch immer: Algerien, siegreich im Auftaktspiel gegen Deutschland mit 2:1, war draußen. Ich bin im Februar 1983, also bald acht Monate später, mit einer algerischen Fähre von Marseille nach Algier gefahren und zur Unterhaltung der Passagiere wurde über den Bordlautsprecher der algerische Original-Hörfunkkommentar des Spieles gegen Deutschland verbreitet. Musik in den Ohren der Mitreisenden mit bitteren Beigeschmack – so viel dann auch zu Geisterspielen…

    • Eurojournalist(e) // 21. April 2020 um 16:30 // Antworten

      Lieber Michael, ich freue mich über so viel geballte Kompetenz in unserem Team! Ich war damals auf Sri Lanka und am nächsten Tag war ein Photo von diesem Spiel auf der Titelseite des kleinen Inselblatts, ganzseitig und als Headline ein Wort “Shame!”. Ich fand das damals ganz schön beeindruckend, dass so ein Kick es bis auf die Titelseite auf der anderen Seite der Welt geschafft hatte. Und natürlich hast Du völlig Recht, was das korrekte Ergebnis des Spiels anbelangt. Aber so richtig viel jünger macht uns das auch nicht gerade…

  2. Michael Magercord // 21. April 2020 um 17:47 // Antworten

    … das stimmt natürlich, aber es lässt uns ein klein wenig weniger alt aussehen – und jünger, als alle Geisterspiele zusammen!

    • Eurojournalist(e) // 22. April 2020 um 16:27 // Antworten

      … Weisheit spricht aus Deinen Worten… und vergessen wir möglichst schnell die WM 1982, bei der sich das deutsche Team schlimme Sachen geleistet hat, nicht nur Gijon…

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