Embedded. Ausgangssperre, Tag 42. Jede Menge Fragen…

Auf beiden Seiten des Rheins stellt sich in der Bevölkerung das Gefühl ein, dass die Krise vorbei sei. Doch das stimmt leider nicht und die Sorglosigkeit könnte die Coronakrise wieder befeuern.

Alles wirkt so ruhig und friedlich... aber das ist es noch lange nicht... Foto: Eurojournalist / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 42 und ich bin gestern morgen zum dritten Mal seit Beginn der Ausgangssperre zum Einkaufen gegangen. Und es war eine Überraschung. Viele Menschen waren unterwegs (was ja schön ist), die meisten hielten Abstand von den anderen, aber von den rund 200 Menschen, denen ich auf Hin- und Rückweg begegnet bin, trugen vielleicht 10 oder 12 eine Gesichtsmaske und 5 oder 6 Einweghandschuhe. Ich trug beides und wurde fast mitleidig angeschaut, nach dem Motto „schau mal, noch so ein Idiot, der nicht geschnallt hat, dass es vorbei ist!“. Aber es ist nicht vorbei.

Und das Chaos wird immer größer – auf der deutschen Seite erklärt ein Sprecher des Robert-Koch-Instituts, dass Gesichtsmasken und Handgel nicht viel bringen und das an dem Tag, an dem in praktisch allen Bundesländern das Tragen solcher Masken beim Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr obligatorisch wird (und dazu insistiert Verkehrsminister Andreas Scheuer, dass die Masken auch im Fernverkehr und in ICEs obligatorisch werden). Was soll man denken, was soll man glauben?

Dazu irritiert das Interview, das Wolfgang Schäuble gegeben hat, und in dem er erklärt, dass „der Schutz des Lebens nicht immer absolute Priorität hat“. Die bittere Pille, dass sich Instanzen des Staats zum Herren über Leben und Tod aufspielen, damit die Wirtschaft wie vorher weiterlaufen kann, verpackte er in ein überraschendes ökologisch angehauchtes Paket, mit der zentralen Nachricht „Sterben müssen wir am Ende ohnehin alle“. Ein Argument, mit dem man auch jedes Tötungsdelikt „rechtfertigen“ könnte. Für Schäuble ist nur die Würde des Menschen unantastbar, was ja auch im Grundgesetz steht. Erstaunlich ist der Zuspruch, den Schäuble erhält. Erstaunlich, wie viele Menschen bereit sind, diesem Konzept zu folgen, das letztlich nur besagt, dass man Menschenleben den Interessen der Wirtschaft opfern darf. Man darf gespannt sein, wie sich diese Idee weiter entwickelt. Vermutlich wird sie die Gesellschaft spalten – zwischen denjenigen, die der Ansicht sind, dass der Schutz des menschlichen Lebens sehr wohl das oberste Gebot zu sein hat und nicht den Interessen der Wirtschaft und Aktionäre unterzuordnen ist, und denjenigen, die sich wünschen, dass alles schnell wieder wie vorher ist und die bereit sind, dafür menschliche Opfer in kauf zu nehmen.

In Frankreich bereitet man sich auf die Wiedereröffnung der Schulen Anfang Mai vor, in Deutschland ist diese bereits teilweise in einigen Bundesländern erfolgt. Nicht ohne Probleme. Die erste Schule in Dormagen (NRW) musste bereits wieder schließen, nur 48 Stunden nach ihrer Wiedereröffnung. Ein Covid-Fall in der Familie eines Schülers. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies der einzige Fall bleiben wird.

Diese sanitäre Krise, die nach wie vor in der ganzen Welt wütet und noch lange nicht vorbei ist, hat dennoch das Verdienst, zahlreiche Fragen zur Organisation unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaftssysteme und der Ethik des Zusammenlebens aufzuwerfen. Einfach nur alles daran setzen, möglichst schnell den Status Quo von „vorher“ wiederherzustellen, das wird nicht gehen. Tag 42, diskutieren wir, und hoffentlich finden wir neue Ansätze, diese Welt ein wenig menschlicher zu machen!

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