Embedded. Ausgangssperre, Tag 7. Die Wut.

Wenn man ausgangsgesperrt ist, hat man viel Zeit zum Nachdenken. Das tun die Leute auch. Für diejenigen, die gerade an den Schalthebeln der Macht herumhampeln, ist das keine gute Nachricht.

So wunderschön Strasbourg auch ist - eine auf 0 gefahrene Stadt verliert schnell ihre Seele... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Tag 7. Eine Woche Ausgangssperre und die Leute werden sauer. Es ist eine etwas diffuse Wut, in der sich die Frustration über das Eingeschlossensein, die Angst vor dem, was dieses Virus noch bringt und der Ärger über die Inkompetenz der politisch Verantwortlichen mischen. Und Luft machen. So, wie es nach nur einer Woche „Confinement“ im Land klingt, könnte es gut sein, dass die Zeit nach dem Coronavirus für viele Verantwortungsträger in verschiedenen Verwaltungen ziemlich unangenehm wird.

Präsident Emmanuel Macron hat allerdings auch ein richtig schlechtes Händchen bei der Wahl seiner Regierungsmitglieder an den Tag gelegt. Auch ohne Coronavirus mussten in nur zweieinhalb Jahren 17 (!) Regierungsmitglieder ersetzt werden und die Nachrücker waren leider nicht viel besser aufgestellt als diejenigen, die gehen mussten. Jetzt, wo Frankreich und der Rest der Welt in einer riesigen Krise stehen, fällt die Inkompetenz der Regierenden ganz besonders ins Auge.

Da wäre die bis kurz vor der OB-Wahl amtierende Gesundheitsministerin Buzyn, die im Januar vor den Kameras erklärte, dass dieses in China nur lokal auftretende Virus keinerlei Gefahr für Frankreich darstellt (sie wurde dann schnell zur Kandidatin für die OB-Wahlen in Paris gemacht, wird sich aber sicher nach dieser Krise für etliches verantworten müssen); oder der Staatssekretär im Innenministerium Nunez, der ebenfalls vor Kameras behauptet, es gäbe genug Masken für alle, während gleichzeitig Zehn-, ja Hunderttausende Ärzte und Pflegekräfte um die eben nicht vorhandenen Masken betteln; oder auch Regierungssprecherin N’Diaye, die öffentlich erklärt, man brauche keine Masken, weil die ohnehin so schwer zu bedienen seien („ich würde so eine Maske nicht aufsetzen können) – die Franzosen entdecken gerade, wen sie da eigentlich in der Regierung sitzen haben.

Dazu entdecken die Franzosen auch, was es bedeutet, in einem von der Eliteschule ENA geprägten Land zu leben. Die jungen Spitzenbeamten, die gerade aus der ENA kommen und auf die Verwaltungen losgelassen werden, tun fleißig das, was man von Ihnen erwartet. Sie setzen überall den Rotstift an, zerstören lange gewachsene Strukturen, wenn sie dort die Möglichkeit sehen, eine Einsparung von 0,5 % realisieren zu können und sind letztlich dafür verantwortlich, dass, entgegen der Aussagen von Herrn Nunez, eben nicht ausreichend viele Schutzmasken vorhanden sind. Denn die Spitzenfunktionäre hatten irgendwann gemerkt, dass die Lagerhaltung von einer Milliarde Schutzmasken teurer ist, als wenn man die Dinger im Bedarfsfall schnell in China ordert. Dass China als Lieferant einmal ausfallen könnte, daran hatten die ENArken eben nicht gedacht. Wenn man, und das tun wir gerade alle, die sozialen Netzwerke verfolgt, dann merkt man, dass es heftige Diskussionen nach der Krise geben wird, dass vieles neu und mit anderem Personal organisiert werden muss.

Das ist so das Große und Ganze. Im Kleinen merkt man gerade, was Ausgangssperre wirklich bedeutet. Eingesperrt sein. Nicht einfach ‘rausgehen zu können. Zeit herum zu bringen, auch wenn ein Großteil des Tages mit Arbeit am Computer belegt ist – zu wissen, dass man nicht ‘raus kann ist das, was einen am meisten heraustreibt.

Gegen die Zahlen stumpfen wir langsam ab, sie dienen eigentlich nur noch dazu, aus ihnen die aktuelle Verbreitungsgeschwindigkeit zu errechnen. Ansonsten ist ohnehin jedem klar, dass die wirkliche Zahl deutlich höher liegt, alleine schon durch die Infizierten, die (noch) keine Symptome aufzeigen und von denen niemand ahnt, dass sie das Virus durch die Gegend tragen. Alles, was man aus diesem Zahlengewirr erkennen kann, ist dass es richtig schlimm aussieht. Menschen sterben, Menschen sind schwerst krank. Selbst die Witzchen, die der eine oder andere noch zu dem Thema in den sozialen Netzen macht, sind nicht mehr witzig.

Ein kurzer Gang durch leere Straßen zum Supermarkt. Die Stimmung ist nicht mehr real. Es ist derart still, dass man Passanten atmen hört, wenn man an ihnen vorbei läuft. Und jedem ist klar, dass diese Geschichte Wochen und Monate dauern wird, nicht etwa 15 Tage Ausgangssperre. Diese wird jetzt sogar noch deutlich verschärft, wie Premierminister Edouard Philippe gerade ankündigte. Die Regeln werden verschärft, die Strafen erhöht und wer künftig das Haus verlässt, muss anders als bisher auf seiner Ausgeherlaubnis die Uhrzeit vermerken, zu der er oder sie das Haus verlässt, der geplante Weg muss auf dem Dokument eingetragen (und eingehalten) werden, in einzelnen Kommunen und Städten (zum Beispiel Mulhouse) gibt es ab sofort 100%-Ausgangssperren zwischen 21 Uhr und 6 Uhr morgens, offene Märkte werden geschlossen (Ausnahmen können von Präfektur und Rathaus beschlossen werden) – kurz, schon nach einer Woche wird die ganze Nummer noch härter. Dazu kündigte Philippe den Franzosen an, dass sie wegen der Zeit der Ausgangssperre, die sie ja daheim verbringen müssen, eine Woche bezahlten Urlaub abgezogen bekommen.

Entweder ist es das Stockholm-Syndrom oder ich habe inzwischen Lagerkoller – aber ich verstehe die Maßnahme. In dem Moment, wo Länder, Gesellschaften, Wirtschaften und Systeme kollabieren, ist es schon ein wenig seltsam zu glauben, dass man das alles ohne eigenes Zutun reparieren kann und dass sich für einen selbst nichts ändern wird. Eine Woche weniger Urlaub, das ist sicher nicht schön, aber als Opfer in dieser Situation völlig annehmbar. Langsam, aber sicher wäre es an der Zeit zu begreifen, dass das „nachher“ tatsächlich anders sein wird als das „vorher“. Und dass bei so einschneidenden Veränderungen und Bedrohungen nicht jeder seine 5 Wochen Urlaub am Strand genießen kann, sondern nur vier, herrje, das ist echt nicht des Gejammers wert. Momentan geht es nur um eines – eine Situation zu schaffen, in der weniger Menschen sterben. Denn das tun im Moment sehr viele Menschen. Tag 7 – und wir stehen immer noch erst am Anfang dieses Horrorfilms.

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