Embedded in der Risikozone

Die Stadt Straßburg bereitet sich auf eine nie gekannte Ausgangssperre vor. Bereits seit gestern sind praktisch alle öffentlichen Einrichtungen und Geschäfte geschlossen. Aber es kommt noch härter.

Für die TV-Teams sind wir in Strasbourg eine Attraktivität - hinter einer geschlossenen Grenze... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Mitten in der Risikozone. Straßburg. Hauptstadt Europas, der Menschenrechte, der Weihnacht, des Elsass und jetzt auch des Coronavirus. Am Montag begann das nächste Kapitel, die eingeschlafene Stadt. Die Geschäfte sind zu, vor den wenigen Supermärkten in der Innenstadt stehen die Menschen Schlange wie früher in der DDR. Noch irgendwas kaufen. Bevor alles alle ist. Die Sorge der Menschen ist verständlich, denn die öffentliche Kommunikation ist alles andere als klar und verständlich.

Was genau auf uns zukommt, das weiß kein Mensch. Nichts Gutes, wenn man die Bilder aus Italien und China und anderswo sieht. Dass die Menschen nun ausgerechnet Berge an Klopapier kaufen, das gehört vermutlich eher zur Massenhysterie. Aber wer weiß – vielleicht verwenden wir schon längst die Blätter unserer Yucca-Palme, während die Hamsterkäufer noch Hakle vierlagig genießen. Weiß man’s? Über die Versorgungslage ist nicht viel bekannt. Es heißt, dass wir alle 15 Tage lang daheim isoliert werden sollen. Und es heißt ebenso, dass die Versorgungslage gesichert ist und die Läden, die weiterhin offen sein werden, täglich beliefert werden.

Der ansonsten so belebte Kléber-Platz in der Stadtmitte ist bis auf wenige Menschen leer. Eine junge Frau sitzt an die Statue von General Kléber gelehnt in der Sonne und liest ein Buch. Ein Bild des Friedens und der Ruhe. Ein Bild, das wir in wenigen Tagen wohl nicht mehr sehen werden. Denn dann darf niemand mehr draußen unterwegs sein. Die Atmosphäre ist angespannt. Wie in Florida, zwei Tage vor der Ankunft eines mächtigen Hurrikans. Alles ist noch ruhig, aber es ist eben nur die Ruhe vor dem Sturm, bevor etwas losbricht, das wir nicht kennen.

Ein kurzer Weg zur Grenze. Die ist tatsächlich dicht. Wir sitzen wie in der Falle, wie im Zookäfig. Hinter der Polizeiabsperrung stehen deutsche Fernsehteams und berichten über die gesperrte Grenze, die Frage nach Europa, über das Schicksal der nunmehr isolierten Europahauptstadt. Einige Personen wollen nach Kehl, „nur mal schnell Zigaretten holen“, doch die Polizisten bleiben hart. Niemand kommt rüber, nur Transit-LKWs und Berufspendler, die nachweisen müssen, dass sie wirklich in Deutschland arbeiten. Es ist unwirklich. Ein schöner Vorfrühlingstag, alles blüht und die Vögel zwitschern und irgendwo in unserer Eingeschlossenheit sitzt der Feind, das Virus.

Es breitet sich täglich aus, dieses Virus, dieser unsichtbare Winzling, der Menschen niederstrecken kann. Unser gemeinsamer Feind. Den jeder auf seiner Seite so bekämpft, wie er es für richtig hält. Statt gemeinsam gegen ihn vorzugehen. Die Fernsehteams schauen zu uns herüber, wir Straßburger sind eine Kuriosität geworden.

Zurück in der Stadt. Dort, wo sonst das Leben auf den Terrassen pulsiert, sind Tische und Stühle zusammengestellt und mit langen Drahtketten gesichert. Man hört plötzlich, wie laut die Tram ist, denn alle anderen üblichen Geräusche fehlen. Man hört seine eigenen Schritte auf dem Kléberplatz.

Panik in der Stadt? Nein, absolut nicht. Angespanntes Abwarten, das trifft es genauer. Wir werden eine einzigartige Erfahrung erleben, in der die Menschen in der Stadt zeigen werden, wer sie sind. Aber um ehrlich zu sein, es ist eine Erfahrung, auf die wir auch gerne verzichtet hätten. Seltsame Zeiten kommen auf uns zu. Mitten in der internationalen Risikozone. Ob das Leben danach noch so sein wird wie vorher? Wir werden es erfahren…

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