Endlich frei!

10 Tage nach dem Brexit hat sich Großbritannien überraschenderweise noch nicht in ein Paradies verwandelt. Und der Geldregen für das Gesundheitssystem fällt aus.

Und jetzt - hinein in die blühenden britischen Landschaften... Foto: U.K. Prime Minister / Wikimedia Commons / OGL v3

(KL) – Das war eines der Hauptargumente für den Brexit, der von den Brexit-Befürwortern selbst auf Wahlkampfbusse geklebt wurde. 350 Millionen £ wollten die Brexiteers wöchentlich ins das Nationale Gesundheitssystem fließen lassen, die natürlich nicht fließen. Stattdessen ist auf der Insel das politische Chaos ausgebrochen und, wie nicht anders zu erwarten war, hat die Regierung unter dem politischen Tiefflieger Boris Johnson keine Ahnung, wie sie diese Situation managen soll. Der Brexit entwickelt sich immer mehr zum Schulbeispiel für neo-nationalistische Populisten, die ihren Wählerinnen und Wählern das Blaue vom Himmel vorlügen.

Die konservative britische Presse bejubelt immer noch Boris Johnson, und ist der Ansicht, dass dieser nun eine tolle Verhandlungsposition mit der EU hat. Hat er die? Womit will der politisch und wirtschaftlich isolierte Inselstaat die EU denn unter Druck setzen? Was bitteschön gibt es auf der Insel, ohne das die EU nicht weiter funktionieren könnte?

Seit 10 Tagen hat sich das Leben der nun endlich „freien“ Briten nicht unbedingt positiv verändert, stattdessen ist der Bruch zwischen London und Schottland nicht mehr zu kitten. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon ist fest entschlossen, ihr Land unter den seit der letzten Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Schottlands völlig veränderten Vorzeichen erneut abstimmen zu lassen und alle letzten Wahlergebnisse und Umfragen zeigen, dass sich die Schotten vor der Wahl „EU oder UK“ für die EU entscheiden würden.

Dazu, und das darf man nicht unterschätzen, ist auch ein Bruch innerhalb Großbritanniens entstanden. Die „Remainer“ und die „Brexiteers“ stehen sich unversöhnlich gegenüber und das wird noch lange Zeit so bleiben. Regierung und die beiden Kammern des britischen Parlaments machen dort weiter, wo sie sich bereits seit dreieinhalb Jahren tummeln, es herrscht Uneinigkeit zu praktisch allen Punkten, die beispielsweise dem Versuch von Boris Johnson, die Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge zu stoppen, was sofort vom House of Lords wieder einkassiert wurde. Es gibt keine klare Linie, was die britische Regierung mit dieser Situation anfangen will und es steht zu befürchten, dass die politische Strategie von Boris Johnson künftig aus „Trial and Error“ bestehen wird.

In diesem politischen Chaos sollte man allerdings festhalten, dass der Brexit noch lange nicht vollzogen ist. Nach wie vor ist Großbritannien bis zum Jahresende an die europäischen Regeln in den meisten Bereichen gebunden, und richtig heftig wird es in 11 Monaten – wenn beispielsweise Lösungen zur Irland-Frage präsentiert werden müssen. Hierzu haben die Briten in dreieinhalb Jahren keinerlei Ideen, Projekte oder Strategien entwickeln können und es steht kaum zu befürchten, dass sie das nun in den kommenden 11 Monaten hinbekommen.

Die EU darf sich jetzt nicht von den Briten am Nasenring durch die Manege führen lassen, sondern muss ruhig, nüchtern und knallhart ihre Interessen gegenüber den Briten durchsetzen, alleine schon, um potentiellen Nachahmern der Briten zu zeigen, dass die politische und wirtschaftliche Isolation in einer globalisierten Welt nicht unbedingt der Königsweg ist.

Die britische Bevölkerung kann einem leidtun. Bei allem Unverständnis über das Wahlverhalten der Briten am 12. Dezember, als diese einem Politik-Clown die Zukunft ihres Landes anvertraut haben, so macht es nicht einmal eine klammheimliche Freude zu sehen, wie die Briten mit Vollgas auf die Wand zurasen. Dass sie dabei „Hurra, wir sind endlich frei!“ grölen, macht die Situation nicht besser.

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