Entsammeln und Endlagern – Abschied vom Zoomuseum

Am ersten Sonntag im Monat ist Museumstag in Straßburg. Freier Eintritt zu Kunst, Kultur – und bisher auch zum ausgestopften Getier. Letztes Wochenende stand ich vor verschlossenen Türen: das Zoologische Museum bleibt drei lange Jahre geschlossen – Umbauarbeiten. Anlass für einen Abschied.

Drei Jahre wird das Zoologische Museum in Strassburg geschlossen bleiben und sich komplett neu erfinden. Foto: Edelseider / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(Von Michael Magercord) – Sich wieder einmal sich fühlen wie im Urwald. Oder an der Arktis. Einmal mehr sich verlieren in der Fülle der Natur – mitten im urbanen Dschungel Straßburgs ging das nur im Zoologischen Museum der Stadt. Von Außen war gar nicht sichtbar, was sich hinter der wuchtige Tür verbarg. Einmal aufgestoßen, wurde man Entdecker einer anderen Welt.  

Die zoologische Sammlung der Universität entstand im Laufe von über zweieinhalb Jahrhunderten und ist heute in einem der typisch preußischen und irgendwie auch geheimnisvollen und düsteren Repräsentationsgebäude aus dem Ende des 19. Jahrhunderts untergebracht, das einzig für die toten Tiere erbaut wurde. Und das sind mittlerweile ganz schön viele: Zwei Millionen Wirbellose und Insekten, 10.000 Säugetiere, dazu Fische, Reptilien auf drei Stockwerken, aufgespießt, ausgestopft und mal nach Arten, mal nach geografischen Zonen sortiert. Und ganz oben die unglaubliche Welt der 18.000 Vögel. Schaukasten an Schaukasten im Schummerlicht – zum Irrewerden. Buchautor Jo Berlien vergleicht diesen Ort der gestrigen Sammelwut gar mit dem Wahnsinnsort des Heute: „Das Zoologische Museum erscheint einem so fremd und abwegig wie das Internet“.

Internet und Zoomuseum, Apple und ausgestopfte Biester – ein befremdender, aber vielleicht kein abwegiger Vergleich. Lässt man sich darauf ein, dann stimmt es: Auch im Internet wird wie wild gesammelt, aber eben nicht wirklich sortiert. Doch diese Vögel sind bestens geordnet, und zwar nach Arten. Zugeben, ich kenne einen Ornithologen aus Freiburg, mein Lieblingsornithologe übrigens, der einer der wenigen Menschen ist, der auf seiner sogenannten „lifelist“, auf der alle derzeit bekannten fast 11.000 Vogelarten verzeichnet sind, bereits über die Hälfte in freier Wildbahn beobachtet und abgehakt hat: Und klar, der fand natürlich so manchen kleinen Zuordnungsfehler. Aber vielleicht schlichen die sich ja auch beim Abstauben ein, wenn man nicht mehr so genau wusste, wo denn dieser bunte Vogel nun wieder hingehört.

Für uns Laien ist ja sowieso das Beste daran, dass wir die Vögel überhaupt einmal zu Gesicht bekommen und sie dabei auch noch so schön still sitzen. Besonders beeindruckend für den weniger herumgekommenen Zeitgenossen sind die Schaukästen mit den Paradiesvögeln. Die sind vermutlich ein Erbe der deutschen Zeit, denn diese seltsame Art lebt nur auf Neuguinea, und damals war die Insel zwischen Indik und Pazifik zu Zweidritteln deutsche Kolonie. So lässt uns nun hundert Jahre altes ausgestopftes Federvieh ins Heute der Natur schauen: Was für eine verrückte Vielfalt und Launen der Natur, und gleichsam diese Ordnung darin – warum kann uns eigentlich beides – Vielfalt und Ordnung – so faszinieren?

Jagen und Sammeln waren die ersten Tätigkeiten des Menschen – und im Zoologischen Museum kann man das Ergebnis bestaunen, wenn beides im Zeitalter der Wissenschaften vollzogen wird. Das hat auch was von Sinngebung in der immer komplexer werdenden Wissensgesellschaft, die – Hallo Internet! – gerade wegen der Zunahme von Wissen immer unwissender wird. Schon von Anbeginn war das Erfassen und Ordnen zu Klassen von vermeintlich Gleichem nicht nur gedankliche Stütze im Dschungel der neuen Entdeckungen, sondern auch der Beginn des rassischen Denkens: Lebewesen werden in Kategorien unterteilt, die in der Natur ja eben nicht nebenher existieren, sondern miteinander und voneinander leben.

Im Museum lebt ja nichts mehr, die einstigen Tiere sind Objekte geworden. Allerdings welche, die im Gegensatz zu den meisten Dingen in der Warenwelt da draußen, nicht zum Verbrauch und Verzehr bestimmt sind. Das Wesentliche, was von jenen Dingen, die bloß Waren sind, übrig bleibt, der ist Müll, der irgendwo endgelagert wird, ob organisiert auf der Kippe oder als Mikroelemente im Meer, der Luft oder im eigenen Körper. Im Museum sammelt sich hingegen alles an, wird geordnet, aufgespießt, ausgestopft und aufgereiht. Diese Vielfalt zu erfassen, fordert vom Betrachter eine seltsam zerstreuende Konzentration und lässt ihn dabei konzentriert Zerstreuen. Das ist der Unterschied zur Vielfalt des Internets, das zwar die Zerstreuung befördert, aber keine Konzentration nicht mehr zulässt – Google, Facebook und Co. sind nicht darauf aus, dass seine Nutzer noch zur Besinnung kommen, sondern bei seinen digitalen Streifzügen auf immer neue Abwege gerät, die für so manche unter ihnen zu einer sich endlos vernetzenden Sackgasse werden.

Das Zoologische Museum in Straßburg stand in seiner bisherigen Form für das Paradoxon aus Sammeln und Zerstreuen, Konzentration und Verwirrung, vertraut und fremd zugleich zu sein, dabei logisch und ja, auch ein wenig abwegig. Die Abwege, die der Betrachter da erkennen kann, sind jene, auf die uns die beobachtenden Vernunft gebracht hat. Denn was ihm da präsentiert wird, wenn er die Schaukästen abschreitet, sind die Früchte der wissenschaftlichen Denkens des Entdeckens und Strukturierens. Das Abwegige daran ist die zwar hehre, aber eben auch naive Annahme, das Sammeln, Ordnen und Erkennen könnten sich objektiv und bloß am Objekt vollziehen. Das Internet und die vom seiner Logik losgetretene Welle der unreflektierten Moralisierung selbst von wissenschaftlichen Erkenntnissen hat uns dieser süßen Illusion erst einmal beraubt.

Und anstrengend konnte es auch werden, sich jedes dieser ausgestopften Mitgeschöpfe in den Schaukästen des Museums genau anzusehen. Auch, weil die Ausstellung bisher ziemlich unbeleckt von dem war, was man heutzutage Museumspädagogik nennt – zum Glück, denn man wurde darin beinahe selbst zum Entdecker. Aber das Zeitalter der Entdeckungen ist vorbei: Renovierungsarbeiten stehen an, drei Jahre lang bleibt der Bau geschlossen. Und danach? So viel ist klar, das Öffnen der schweren Tür wird keine unbekannte Welt mehr freigeben, denn in den dann bunt beleuchteten Fenstern werden drapierte Großsäuger den Passanten offenbaren, was Drinnen vor sich geht. Rätselraten, was sich wohl hinter der geheimnisvollen Fassade befinde, braucht dann niemand mehr.

Und drinnen? Die Entwürfe, die bisher einsehbar sind, zeigen lichtdurchflutete Säle, worin die Schaukästen nicht mehr so dicht gedrängt stehen. Dafür werden Vögel artgerecht unter der Decke schweben. Weniger Objekte werden es wohl sein, aber dafür übersichtlicher und klarer präsentiert. Man bezeichnet diesen Prozess des Aussortierens übrigens mit dem Begriff „Entsammeln“. Und schaut man auf die Menge der sich über die Jahre angesammelten Gegenstände – ist nicht heute jedes Häuschen, jede Wohnung ein Museum? – sind die kommenden Generationen wohl dazu verdammt, in der wahren Welt Entsammler zu werden, während sie das Jagen und Sammeln ins Internet verlegen.

Das Ende der alten Ausstellung im Zoologischen Museum ist auch ein Abschied von einer bestimmten Art und Weise der Weltbetrachtung. Die Epoche der konzentrierten Zerstreuung geht langsam zu Ende. Werden wir das noch einmal bereuen? Man sollte wenigstens eines dieser fremden und abwegigen Museen erhalten, und sei es nur, um als Ausschauungsbeispiel für eine untergehende Denkweise zu dienen. Und wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja dann eines fernen Tages stattdessen das Internet zu entsammeln!

Einen ersten vagen Blick in die neue Ausstellung im Zoologischen Museum erlaubt dessen Instagramseite.

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