Erste Bilanz der „Großen Nationalen Debatten“

Die französische Regierung macht es spannend. Nach der Verkündung der ersten, wenig überraschenden Ergebnisse des großen nationalen Dialogs muss man jetzt aber erstmal abwarten.

Premierminister Edouard Philippe scheint verstanden zu haben, was die Stunde in Frankreich geschlagen hat... Foto: Amélie Tsaag Valren / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – In Frankreich muss immer alles inszeniert werden, besonders das Konzept der „Macht“, das bei unseren westlichen Nachbarn immer noch etwas vom Hofzeremoniell eines Ludwig XIV. hat. Gestern verkündete Premierminister Edouard Philippe die ersten Ergebnisse dieser „Großen Nationalen Debatten“, die niemanden überraschten. Eher überraschend ist die Tatsache, dass man noch warten muss, bis Präsident Macron geneigt ist, auch entsprechende Maßnahmen zu verkünden. Die Art und Weise, wie diese Ergebnisse präsentiert wurden, lässt das Schlimmste erahnen. Ob Emmanuel Macron weiß, dass sein Land kurz vor dem Explodieren steht?

Hui, wer hätte damit gerechnet? Die Franzosen stöhnen unter einer zu hohen Steuerlast, wünschen sich die Wiedereinführung der Reichensteuer ISF, wünschen sich ein schärferes Vorgehen gegenüber den großen Steuerhinterziehern, die bislang ziemlich ungeschoren davonkommen. Ach ja, und auf den Landstraßen wollen die Franzosen lieber 90 km/h statt der verordneten 80 km/h fahren dürfen. Seien wir ehrlich – diese Forderungen liegen seit November 2018 auf dem Tisch und sind alles andere als neu. Dafür hätte es diese landesweiten Debatten nicht gebraucht – was nun den Druck auf Emmanuel Macron erhöht, nicht nur kosmetische Maßnahmen, sondern grundlegende Reformen zu liefern. Sollte er wiederum versuchen, auf Zeit zu spielen und seine Landsleute mit kleinen Häppchen abzuspeisen, droht ihm die Situation im Land aus der Hand zu gleiten.

Das Engagement der Franzosen für diesen bislang einzigartigen Dialog war beeindruckend. Online wurden 1.932.881 Beiträge und Vorschläge eingereicht und bei 10.134 lokalen Debatten nahmen mehr als eine halbe Million Menschen teil. Da soll niemand sagen, dass sich die Menschen nicht für Politik erwärmen können – doch nun ist der Ball im Spielfeld der Regierung, die nun dringend reagieren muss.

Zumindest Premierminister Edouard Philippe hat in den letzten Monaten mitbekommen, was in Frankreich läuft. Zwar hätte er auch von alleine darauf kommen können, dass „die Steuern so schnell wie möglich gesenkt werden müssen“. Genau das fordern die „Gelbwesten“ (und nicht nur die) seit November 2018. Eher unverständlich ist, warum die Regierung mehr als vier Monate und 22 „Akte“ lang gewartet hat, um zu reagieren. Nun gut, besser spät als nie…

Und plötzlich wird Edouard Philippe selbst zum Sozialrebellen. „Wir sind in einer Situation angekommen, in der Zögern schlimmer als ein Fehler wäre, es wäre ein Versagen. Der Bedarf nach Veränderung ist so radikal, dass jede Form von Konservatismus oder zögerlichen Vorgehens in meinen Augen unverzeihlich wäre.“ Das klingt gut und wirft die Frage auf, ob die gesamte Regierung in den letzten vier Monaten in Urlaub war. Das, was er gestern verkündete, sagte seit vier Monaten jeder Soziologe und Politologe in Frankreich. Und jetzt scheint diese Erkenntnis auch bei der Regierung angekommen zu sein.

Der Umstand, dass sich sehr viele seiner Landsleute an dieser Debatte beteiligt haben, ist allerdings kein Beweis für die tolle Arbeit der Regierung, sondern das genaue Gegenteil. Seit Monaten ignorieren Präsident Macron und Premierminister Philippe tapfer die Unruhen im Land, bürsten diese als „urbanen Terrorismus“ ab und haben es bisher lediglich geschafft, neue, repressive Gesetze zu verabschieden, mit denen künftige Regierungen leichtes Spiel haben werden, jede Art des Protests einfach zu verbieten. An den vielen Sozialthemen zu arbeiten, hat man leider in den letzten vier Monaten nicht geschafft.

Emmanuel Macron steht nun unter extremem Druck. Sollte er Mitte April nicht nachhaltige und tiefgreifende Reformen verkünden, mit denen sich ausnahmsweise nicht die Lebensumstände der Superreichen verbessern, sondern das tägliche Brot der sozial schwachen Schichten der französischen Gesellschaft, wird es künftig nicht zu „Akten“ kommen, sondern zu einer gewaltsamen Sozialrevolution. Vor Macron liegt nun eine Autobahn, auf der er sich mit den Französinnen und Franzosen aussöhnen könnte. Wer allerdings die ersten beiden seiner Amtsjahre betrachtet, der befürchtet eher neue Aussetzer des Präsidenten. Doch die nächsten verbalen Ausfälle gegen seine Landsleute oder ein mickriges Programm ohne tiefergehende Wirkung, könnte dann sein letzter Fehler als Präsident gewesen sein. Hoffentlich trauen sich seine Berater wenigstens dieses Mal, ihm das klar zu sagen. Denn ansonsten hat man das Gefühl, als würde der Präsident nicht mehr viel davon mitbekommen, was in Frankreich gerade läuft.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mit sinnvollen Maßnahmen das Land wieder zu befrieden. Es wäre wirklich an der Zeit…

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