Es kommt noch schlimmer…

Angesichts der weiter explosionsartig ansteigenden Fallzahlen kündigt Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin „schwierige Entscheidungen“ an. Daran führt wohl kein Weg vorbei – die „zweite Welle“ ist deutlich virulenter als die erste.

Unter dem Elektronen-Mikroskop - das Virus (in goldgelb) entwickelt sich aus einer Zelle heraus. Foto: National Institute of Allergy and Infectious Diseases NIAID / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – „Wir hatten mit einer zweiten Welle gerechnet, aber wir sind selbst von der Brutalität überrascht, mit der sich die Situation seit 10 Tagen entwickelt. Diese zweite Welle wird voraussichtlich härter als die erste und viele unserer Landsleute sind sich noch nicht darüber im Klaren, was da auf uns zukommt.“ Diese Aussage kommt nicht von irgendwem, sondern vom Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rats Jean-François Delfraissy, der die französische Regierung in dieser Krise berät. Die Zahlen, die sich täglich verschlimmern, bestätigen seine düsteren Aussichten.

Die nächtliche Ausgangssperre, in Frankreich militärisch „couvre-feu“ genannt, wird nicht ausreichen, um die in Frankreich explodierenden Infektionszahlen in den Griff zu bekommen. Alleine in der Eurometropole Straßburg liegt die Inzidenz mittlerweile in der Kategorie „500 bis 1000 Fälle pro 100.000 Einwohner“ – also 10mal höher als die eigentliche Alarmschwelle. Die Krankenhäuser sind bereits wieder am Anschlag und in anderen Regionen müssen Patienten bereits wieder in andere Krankenhäuser verlegt werden, in denen noch Kapazitäten frei sind. Auch die Todeszahlen steigen wieder – vorgestern lagen sie bereits wieder bei 257 Opfern an einem einzigen Tag – Tendenz: rapide steigend.

Wenn die Regierung nun bereits „schwierige Entscheidungen“ ankündigt, dann ist klar, dass es zum nächsten „Lockdown“ kommen wird. Dieser wird sich vermutlich in einer ersten Phase auf die am schwersten betroffenen Regionen beschränken, doch wird es dazu auch wieder die Reisebeschränkungen geben müssen, die es bereits im Frühjahr gab – mit einem Radius von 100 km rund um den Wohnort, der nicht überschritten werden durfte. Wie sinnvoll es war, in den Herbstferien den Reiseverkehr zu ermöglichen, sieht man bereits jetzt. Durch den Urlaub wurde das Virus quer durch das Land geschleppt und konnte sich inzwischen auch in Regionen ausbreiten, die bislang noch nicht so stark betroffen waren. Darauf hatte auch Angela Merkel bereits hingewiesen, als sie vor wenigen Tagen erklärte, dass die Ferienzeit massiv zur Verbreitung des Virus beigetragen habe. Warum man dann alles daran gesetzt hat, diese Ferienfahrten zu ermöglichen, ist schleierhaft.

Mit den nächsten Ankündigungen der französischen Regierung wird morgen gerechnet und jedem in Frankreich ist klar, dass es zu neuen Einschränkungen kommen wird, wenn nicht sogar gleich zum „Lockdown“. Alle bisher getroffenen Maßnahmen haben keinen Erfolg gehabt, was kein Frankreich-spezifisches Problem ist, denn die Entwicklung ist auch in anderen Ländern dramatisch. Keine bislang ausprobierte Methode, von der „Herdenimmunität“ durch den Verzicht auf Maßnahmen bis zum vollständigen „Lockdown“ in Frankreich von März bis Mai, haben positive Ergebnisse gebracht. Also ist klar, dass diese Maßnahmen weiter verschärft werden müssen.

Die Konsequenzen werden hart sein – die Wirtschaft bekommt den nächsten Dämpfer, der für viele kleine und mittlere Akteure der Wirtschaft das Todesurteil bedeuten dürfte. Ob man weiterhin Kinder und Jugendliche in den Schulen als „Versuchskaninchen“ benutzt, ist ebenfalls unklar – der einzige Grund, warum man noch nicht vollständig auf Tele-Unterricht umgestellt hat, ist der Umstand, dass man möchte, dass die Eltern wieder arbeiten gehen konnten. Aber jetzt? Bei einer Inzidenz in der Eurometropole Straßburg, die zwischen 500 und 1000 Fällen pro 100.000 Einwohner liegt? Und bislang völlig unklar ist, ob und wie das Virus auch in der Schule übertragen und in die Familien geschleppt wird?

Die Aussage „wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben“ kann man vergessen. Dieser Ansatz war möglich, solange die Ansteckungen in einem Bereich von unter 50 Infektionen / Woche / 100.000 Einwohner lagen. Doch so, wie die Zahlen seit einigen Tagen durch die Decke schießen, ist dies einfach nicht mehr möglich.

Was immer die französische Regierung nun auch beschließt, es wird nicht einfach werden. Das wirtschaftliche und soziale Leben wird erneut zum Erliegen kommen und alle Modelle des Wiederaufschwungs werden hinfällig, denn niemand hat die Möglichkeit einer zweiten, heftigeren Welle ins Kalkül gezogen. Dies gilt übrigens auch für die ambitionierten Pläne der deutschen Regierung, die sich schon am Ende der wirtschaftlichen Krise sah. Hatte nicht Wirtschaftsminister Peter Altmeier verkündet, dass nach einem BIP-Einbruch von 5,8 % im Jahr 2020 ein Wachstum von 4,4 % im Jahr 2021 winkt und damit die wirtschaftlichen Konsequenzen der Krise schon Ende 2021 so gut wie überstanden wären? Diese optimistischen Pläne hatten allerdings nicht die Möglichkeit dieser brutalen zweiten Welle vorhergesehen.

Und wer sagt uns, dass es nach der zweiten Welle vorbei ist? - Wer kann sagen, ob dieses Virus nicht weiter mutiert und weiterhin solche Schäden anrichtet? Doch wer weiß, vielleicht bricht nun zwangsweise das Zeitalter der Solidarität zwischen Reich und Arm an. Wenn es so weitergeht, wird es kaum noch Alternativen dazu geben, dass die Reichsten einen Teil ihres Vermögens bereitstellen, um die ebenfalls explodierenden Sozialkosten aufzufangen. Denn wenn Millionen Menschen in eine Situation geraten, in der die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen und Trinken nicht mehr gesichert ist, werden sich diese Menschen gewaltsam holen, was sie brauchen. Und eine solche Situation mag man sich gar nicht ausmalen.

Ob wir es wollen oder nicht – solange es keine besseren Vorschläge gibt, bleibt nur eine maximale Disziplin bei der Umsetzung der sanitären Vorgaben. Das treibt zwar rund 15% der Bevölkerung auf die Straße, die immer noch glauben, dass es sich bei diesem Virus um „Betrug“, „Lüge“ und gar nichts handelt, doch sollte man diese Leute nun vergessen. Wenn sie weiterhin ohne Maske und Abstand demonstrieren, sind ihre Demonstrationen eben aufzulösen und wer sich konsequent weigert, sich und andere zu schützen, der muss dann eben auch von der Justiz daran gehindert werden, dieses Virus weiterhin sorglos zu verbreiten.

Stellen wir uns also auf noch deutlich härtere Maßnahmen ein und hören wir endlich auf, den Staat als „Übervater“ und Problemlöser für alles zu betrachten. Auf unser Verhalten kommt es an und wenn wir selbst weiter für die Verbreitung des Virus sorgen, dann müssen wir eben auch schärfere Maßnahmen akzeptieren. Es wäre schön, wenn die jammernden „Spreader“ das endlich verstehen würden.

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