Es passiert, was abzusehen war

Der britische Regierungschef Boris Johnson steht ebenso wie der Ochs vor dem Berg wie seine Vorgängerin Theresa May. Außer dem „Hard Brexit“ hat Johnson keinen Plan. Nur laut und unverschämt ist er.

Boris "Donald" Johnson ist wohl das Schlimmste, was den Briten seit vielen Jahren passiert ist. Aber den Spuk werden sie schon selber beenden müssen... Foto: Julian Tysoe from London, UK / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Langsam dämmert es sogar schon den ersten Briten, dass die Wahl von Boris Johnson zum Tory-Chef, Regierungschef und Brexit-Verwalter wohl nicht das Schlauste war, was die britischen Wählerinnen und Wähler in den letzten Jahrhunderten angestellt haben. Der Unterschied zu seiner Vorgängerin Theresa May ist, dass Boris Johnson gar keine Alternativen zum „Hard Brexit“ mehr hat, sondern nur noch versucht, über seine mittelmäßige Kommunikation die Schuld für die Katastrophe, auf die Großbritannien unaufhaltsam zusteuert, der EU in die Schuhe zu schieben. Die Diskussionen um „Knackpunkte“ wie den „Backstop“ für Irland sind nur noch Scharmützel, der „Hard Brexit“ ist das einzige, was in der Vorstellung von Boris Johnson existiert. Die Lust am Untergang.

Der „Backstop“ für Irland, also der Versuch, eine Übergangslösung zu finden, mit der die Einrichtung einer scharfen EU-Außengrenze zwischen Nord-Irland (GB) und der Republik Irland (EU) verhindert werden kann, ist für die europäischen Spitzenpolitiker nicht verhandelbar. Speziell Paris und Berlin bestehen auf dieser Regelung, die darauf abzielt, das Wiederaufflackern des irischen Konflikts zu verhindern. Dies wiederum veranlasste Boris Johnson jetzt, eine Vorbedingung für die Neuverhandlung des Brexit-Vertrags zu formulieren: Bevor sich Großbritannien wieder an den Verhandlungstisch setzt, müssen zunächst Emmanuel Macron und Angela Merkel öffentlich dem „Backstop“ abschwören. Als ob es Nachverhandlungen geben würde. Wer gedacht hatte, dass wir mit Theresa May bereits den Abgrund erreicht hatten, stellt jetzt fest, dass es noch tiefer abwärts geht.

Offenbar haben inzwischen fast alle britischen Politiker und Politikerinnen ein echtes Problem mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Boris Johnson hat keine Bedingungen zu stellen, bevor der Brexit-Vertrag neu verhandelt wird, denn er wird nicht nachverhandelt werden. Und auch Johnsons Versuch so zu tun als wolle die EU die Briten vor die Tür setzen, wird nicht greifen. Für den Blödsinn, den die Briten gerade unter der Führung der ansonsten bereits implodierten Tories abziehen, werden sie schon selber gerade stehen müssen.

Und hier zeigt sich das ganze Dilemma von Boris Johnson – er kann im Grunde überhaupt nichts mehr machen. Aus seiner großmäuligen Hard-Brexit-Nummer kommt er nicht mehr heraus, ohne seine Glaubwürdigkeit in seiner Partei zu verlieren, doch schwebt über ihm das Damoklesschwert des Parlaments, das mehrheitlich gegen den „Hard Brexit“ ist und eine mächtige Waffe in der Hand hat – das Misstrauensvotum, mit dem Johnson jederzeit aus dem Amt gekegelt werden kann, falls er sich über den Willen des Parlaments hinwegsetzen will. Und das muss Boris Johnson unter allen Umständen verhindern, denn ein Misstrauensvotum würde automatisch zu Neuwahlen führen und im Falle von Neuwahlen ist heute bereits klar, dass die Tories auf rund 10% der Wählerstimmen schrumpfen würden. Und plötzlich ist Johnson in der unangenehmen Lage, überhaupt keinen Handlungsspielraum mehr zu haben.

Seine „Bedingungen“, die er in Richtung EU für „Neuverhandlungen“ formuliert, obwohl er eigentlich wissen müsste, dass es keine Neuverhandlungen geben wird, sind nicht viel mehr als das berühmte Pfeifen im Keller.

Für die EU, die alles, aber auch alles getan hat, damit dieser blödsinnige Brexit so schadensfrei wie möglich vonstattengeht, ist das weitere Vorgehen klar: keine Verhandlungen mehr. Wenn die Briten wirklich den schlechtmöglichsten Deal haben wollen, wenn sie ihr Land in die Isolation treiben, ein wirtschaftliches Chaos und die Spaltung ihres eigenen Landes betreiben wollen, dann bitteschön. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon stellt sich bereits öffentlich die Frage, unter welchen Pathologien Boris Johnson leidet und das nächste schottische Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien ist bereits in Vorbereitung, ebenso, wie man in Irland laut über die Möglichkeit der Wiedervereinigung zwischen beiden irischen Landesteilen nachdenkt.

Mit Boris Johnson ist der Weg zu einem nationalistischen Little Britain vorgezeichnet. Und das passt auch irgendwie, denn zu mehr als einer Comedy-Serie taugt der britische Regierungschef tatsächlich nicht. Und so deutet dann alles auf den „Hard Brexit“ am 31. Oktober hin und die EU wäre gut beraten, dieser britischen Regierung keinen weiteren Aufschub zu gewähren (wofür auch?) und bei ihrer Linie zu bleiben, auf der nicht neu verhandelt wird. Alle Karten liegen auf dem Tisch, ab sofort sind die Briten für alles selbst verantwortlich, was sie da gerade treiben. Bye, Bye, Little Britain!

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