Ethisches Neuland

Die Corona-Krise stellt unsere Gesellschaften vor eine ganze Reihe ethischer Fragen, mit denen wir uns noch nie beschäftigen mussten. Doch jetzt brauchen wir neue Antworten auf neue Fragen.

Für die neuen Ethik-Fragen brauchen wir dringend einen neuen Kompass... Foto: Kompass band / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Dass die Corona-Krise enorme Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hat, das wissen wir. Immerhin erleben wir diese Auswirkungen und Veränderungen seit rund einem Jahr, auch, wenn wir die schlimmste Phase der Auswirkungen dieser Pandemie noch lange nicht erreicht haben. Doch bereits heute stehen ethische Fragen im Raum, auf die nur schwer Antworten gefunden werden können. Und trotzdem müssen wir diese Antworten finden.

Der erste Bereich, in dem es neue ethische Fragen gibt, ist der Gesundheitsbereich. In den ersten Krankenhäusern in Sachsen sind die Ärzte bereits gezwungen, die „Triage“ zu praktizieren, also die Abwägung, welchem Patienten man hilft, und welchem nicht. Diese Frage hängt natürlich von der Verfügbarkeit medizinischer Geräte ab – doch wer möchte in der Haut eines Arztes stecken, der zu entscheiden hat, um wessen Leben man kämpft und welches man auslaufen lässt?

In die gleiche Kategorie fällt auch die Frage der Impfreihenfolge. Wie sinnvoll ist es, als erste Patientin in Deutschland eine 101 Jahre alte Frau medienwirksam zu impfen? Wer sollte zuerst geimpft werden, um eine maximale Wirkung zu erzielen? Aber auch – wie kann man sicherstellen, dass nicht nur unsere reichen Länder Impfdosen in Massen kaufen können, während das Virus in den ärmeren Ländern weiter wüten kann? Wie schafft man nicht nur eine globale Gerechtigkeit, sondern sorgt auch dafür, dass das Virus nicht ständig wiederkehrt, da es sich in anderen Teilen der Welt weiter ungehindert ausbreiten kann?

Und wo wir schon gerade bei den Impfungen sind – wie vertretbar ist es, einerseits zu erklären, dass die Impfungen freiwillig sind, gleichzeitig aber Systeme einzuführen, mit denen Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, faktisch vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden, da sie beispielsweise nicht mehr von Fluggesellschaften befördert werden? In verschiedenen Ländern versucht man, die Impfpflicht positiv zu verpacken, indem man die Einführung „grüner Impfpässe“ plant – wer geimpft ist, bekommt also grünes Licht für alles, wer einen solchen Pass nicht vorliegen kann, bleibt eben außen vor. Darf ein Staat so in das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen?

Und damit hören die neuen Ethik-Fragen nicht auf. Was ist mit Randgruppen wie Obdachlosen, mit denen man in dieser Situation so gar nicht umzugehen weiß? In mehreren Ländern ist es zu Fällen gekommen, in denen Obdachlose Strafzettel erhalten haben, weil sie die nächtliche Ausgangssperre nicht eingehalten haben. Aber wie kann man daheim bleiben, wenn man kein Heim hat? Wie schützen unsere Gesellschaften in dieser Situation die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft?

Zu all diesen Fragen gibt es unendlich viele Positionen, Erklärungen und Stellungnahmen – sinnvolle Antworten sind bislang nicht dabei. Ob wir es nun wollen oder nicht, wir werden viel in die Organisation der Welt „post-Covid“ investieren müssen, denn die Entwicklung zeigt, dass es keinen Weg zurück in die „Welt vor der Krise“ geben kann. Weiterhin zu versuchen, diese Entwicklung in bestehende Systeme zu pressen, ist zum Scheitern verurteilt. Wir müssen neue Systeme des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenlebens finden müssen und zwar schnell. Bevor die Situation völlig aus dem Ruder läuft.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste