Eurodistrikt: Das Bilanz-Interview mit Frank Scherer

Am 5. Juni übergab der Landrat der Ortenau Frank Scherer die Präsidentschaft des Eurodistrikts Straßburg-Ortenau an den Straßburger OB Roland Ries.

Dieser Satz von Lao Tse hängt vor dem Büro von Landrat Scherer. Den kann man nur unterschreiben. Foto: © Kai Littmann

(KL) – Alle zwei Jahre wechselt die Präsidentschaft des Eurodistrikts Straßburg-Ortenau zwischen der französischen und der deutschen Seite. Nach zwei Jahren an der Spitze dieses Eurodistrikts zog Frank Scherer im Gespräch mit Eurojournalist Bilanz.

Herr Scherer, wie fällt Ihre persönliche Bilanz dieser zwei Jahre dauernden Präsidentschaft aus?

Frank Scherer: Wenn man anschaut, an welchem Punkt wir gestartet sind, fällt die Bilanz positiv aus. Wir sind überzeugte Europäer, denn Europa hat uns Frieden, Freiheit und Wohlstand gebracht. Doch um das Akzeptanzproblem Europas zu überwinden, muss Europa spürbare Nähe vermitteln, zum Beispiel über Strukturen wie die Eurodistrikte. Wenn diese Nähe die Messlatte für unsere Arbeit ist, dann sind wir ein gutes Stück weitergekommen.

Ich werde jetzt nicht alle unsere Projekte der letzten beiden Jahre aufzählen, denn das würde den Rahmen eines solchen Gesprächs sprengen. Aber lassen Sie mich fünf Bereiche nennen, in denen wir sehr gute Fortschritte gemacht haben.

Als erstes möchte ich das Thema Bürgerbeteiligung nennen. Mit der Einführung der „Eurodistrikt-Konvente“, dem Start der partizipativen Internetsite des Eurodistrikts und der Koppelung der beiden, haben wir viele Bürger, Vereine, Initiativen und Gruppen einbinden können, natürlich im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten, was aufgrund eines im Durchschnitt nur mit drei Personen besetzten Generalsekretariats alles andere als einfach war. Dann kommt das Thema der Zweisprachigkeit. Denn Nähe und eine gemeinsame Identität brauchen gegenseitiges Verständnis, weswegen wir den „Fonds für Zweisprachigkeit“ mit 25.000 € ausgestattet haben. Inzwischen ist auch die Vollfinanzierung von Projekten möglich, also ohne dass zwangsläufig Finanzierungspartner für Projekte aus beiden Ländern dabei sind. Konkret haben wir in diesem Zusammenhang den Umzug der ABCM-Schule aus dem Elsass nach Kappel-Grafenhausen ermöglicht und in Stuttgart darauf eingewirkt, dass der Bildungsplan 2015 die Möglichkeit vorsieht, dass Kinder aus dem zweisprachigen Grundschulzug auch in der 5. Klasse weiter Französisch lernen können, statt ein paar Jahre Pause in der Fremdsprache machen zu müssen.

Nennen wir als drittes die Kultur. In diesem Bereich haben wir durch unsere Unterstützung des deutsch-französischen Theaters „BAAL novo“ eindeutig Farbe bekannt – wir schaffen grenz- und sprachübergreifende Kulturangebote für Kinder und Jugendliche, die unsere Zukunft im Eurodistrikt darstellen. Ich hoffe sehr, dass die nun plötzlich aufgetauchten juristischen Probleme schnell gelöst werden können und das BAAL novo-Projekt umgesetzt wird.

Als vierten Punkt möchte ich den Öffentlichen Nahverkehr anführen. In diesem Bereich haben wir eine umfangreiche Studie anfertigen lassen, auf deren Grundlage nun nachgearbeitet werden muss. Dabei geht es darum, Pakete mit Optionen auszuarbeiten, die dann von der Politik entschieden werden können. Dabei müssen wir allerdings darauf achten, dass wir Optionen finden, die gleichzeitig effizient und finanzierbar sind. Dieses Thema ist allerdings auch ein Beispiel dafür, wo es im Eurodistrikt noch hapert. Denn er kann nicht selber entsprechende Ausschreibungen und ähnliches durchführen, da er hierfür nicht über die nötigen Kompetenzen verfügt. Doch auch daran wird gearbeitet. So hat der baden-württembergische Innenminister Peter Friedrich eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um herauszufinden, in welchen Bereichen der Eurodistrikt über eigene Kompetenzen verfügen soll, denn unsere Rolle kann es nicht sein, nur Geld auszugeben. Dieser Ansatz erscheint sehr sinnvoll, um den Eurodistrikt effizienter zu gestalten. Da dies erfordert, dass gleichzeitig auf der französischen Seite untersucht wird, welche Kompetenzen an den Eurodistrikt übertragen werden sollten, habe ich unsere französischen Partner gebeten, ebenfalls eine solche Untersuchung durchzuführen, damit dieses Thema auch gemeinsam voran gebracht werden kann.

Als letzten Punkt führe ich noch den Bereich Gesundheit und Soziales an – und hier sei beispielhaft die Einrichtung der deutsch-französischen Suchtklinik in Kehl genannt. Hier stimmte der gesamte Ablauf – politische Entscheidung und sofortige Umsetzung.

Kommen wir noch einmal auf die Bürgerbeteiligung zurück. Während die Eurodistrikt-Konvente eine sehr gute Resonanz fanden, scheint einem zweiten Format, nämlich dem Runden Tisch mit den aktiven und durchaus kritischen Vereinen und Organisationen die Puste auszugehen. Nach einem guten Start fiel das letzte Treffen aus – die Vertreter der Zivilgesellschaft hatten keine Lust teilzunehmen…

FS: Das ist wirklich schade, denn die erste Runde dieser Gespräche hatte mir viele Erkenntnisse gebracht und ich hatte die Hoffnung, dass dieses Format strukturiert fortgeführt werden kann. Doch muss auch der Zivilgesellschaft klar sein, dass sie sich genau so aktiv einbringen sollte wie Politik, Verwaltung und unser Generalsekretariat. Wir haben eine Plattform erschaffen, aber diese muss von allen gesellschaftlichen Kräften getragen werden, um sich richtig entfalten zu können.

Werden Sie dieses oder ähnliche Format auch als Vizepräsident weiterführen?

FS: Ich habe mit Roland Ries über die künftige Spitze des Eurodistrikts gesprochen. Ich bin der Ansicht, dass wir keine Struktur mit einer deutsch-französischen Doppelspitze benötigen, weswegen sich die Situation für mich so darstellt, dass es einen Präsidenten gibt, der für den Fall seiner Abwesenheit einen Stellvertreter hat. Ähnlich wie bei der Einführung der einfachen Mehrheit im Eurodistriktrat, brauchen wir keine Trennung mehr zwischen deutschen und französischen Abgeordneten oder einem deutschen und französischen Präsidenten. Wir brauchen eine eigene politische und administrative Identität, die weder deutsch, noch französisch ist. Deswegen werde ich künftig bei den Sitzungen auch nicht mehr neben Roland Ries sitzen – die Zeiten von Doppelspitzen sind vorbei.

Also keine solchen Runden Tische mehr?

FS: Diese Entscheidung liegt bei Roland Ries. Bei anderen Formaten, wie dem Eurodistrikt-Konvent, der auch in Zukunft weitergeführt werden soll, werde ich natürlich teilnehmen und mich einbringen. Das ist ja klar.

Wie bewerten Sie die Arbeit des Generalsekretariats in Kehl, das häufig Gegenstand herber Kritik ist?

FS: Angesicht der Rahmenbedingungen, nämlich dass dieses Generalsekretariat während meiner gesamten Amtszeit nie mit der ohnehin schon knappen Sollstärke von fünf Personen, sondern im Durchschnitt nur mit drei Mitarbeitern funktionieren musste, hat es hervorragende Arbeit geleistet. In einem hoch komplexen politischen und administrativen Umfeld ist das alles andere als eine einfache Aufgabe, dennoch hat das Generalsekretariat alles daran gesetzt, sich aufmerksam um jedes einzelne Projekt zu kümmern. Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er dieses Problem der permanenten Unterbesetzung des Generalsekretariats schnell überwinden kann, damit es endlich einmal in voller Besetzung seine Aufgaben erfüllen kann. In dieser schwierigen Situation hat das Team in Kehl mit ungeheurem persönlichen Engagement alles unternommen, unseren Eurodistrikt weiter voranzubringen und zu entwickeln.

Welche Perspektiven sehen Sie für den Eurodistrikt in den nächsten Jahren?

FS: Man sollte sich durchaus selbst hinterfragen, ob wir nicht eine viel zu große Entscheidungsstruktur aufgebaut haben. In zwei Gremien, dem Eurodistrikt-Rat und dem Vorstand, sitzen insgesamt 62 Abgeordnete, die für einen Haushalt von 800.000 Euro zuständig sind. Im Kreisrat des Ortenaukreises, wo wir es mit einem Haushalt von ungefähr 700 Millionen Euro zu tun haben, sitzen 87 Abgeordnete. Dazu kommt, dass der Eurodistrikt nach wie vor über keine eigenen Kompetenzen verfügt, weswegen sich die Frage stellt, ob man diese Entscheidungsgremien nicht zusammenlegt oder verkleinert. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass je größer diese Entscheidungsstrukturen sind, das Generalsekretariat umso mehr Arbeit in der reinen Verwaltung hat, was wiederum Ressourcen bindet, die damit nicht für die Projektarbeit zur Verfügung stehen.

Man darf auch nicht vergessen, dass sich der Eurodistrikt im Gegensatz zu anderen Körperschaften noch nicht Jahrzehnte lang einarbeiten konnte und viele Abläufe nicht den gleichen Automatismen folgen können wie in den etablierten Verwaltungen. Insofern rate ich Kritikern doch zu Augenmaß und etwas mehr Gelassenheit.

Perspektivisch wünsche ich mit, dass wir das Selbstbewusstsein haben, eine eigene Eurodistrikt-Identität zu entwickeln, die weder deutsch, noch französisch sein soll. Dies ist eine Daueraufgabe im Sinne der Bürger, die diese Entwicklung wünschen. Wir müssen nun weiter Hindernisse abbauen, um eine neue Dimension des Eurodistrikts für die Menschen zu erarbeiten. Denn selbst, wenn unsere Strukturen eine Tages in Vollbesetzung arbeiten können, liegt noch vieles vor uns. Hierfür das richtige Arbeitsumfeld zu schaffen, wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung – und ich bin überzeugt, dass wir das schaffen werden!

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