Europa bröckelt immer weiter auseinander

Brexit, Ungarn, jetzt auch noch Italien – und Polen sucht weiterhin die Auseinandersetzung mit Deutschland. Wegen Reparationen aus dem II. Weltkrieg.

Stürmische Wolken über Europa... Foto: NASA / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Rechtzeitig zu ihrem Besuch in Polen bekam Annalena Baerbock schon mal vorab mitgeteilt, was man von ihr und der Bundesrepublik erwartet: astronomische Beträge als Reparation für den II. Weltkrieg. Genauer gesagt, 1komma3 Billionen Euro. Und natürlich wird Annalena Baerbock diese Forderung höflich und entschieden ablehnen. Und Europa und die europäischen Länder entfremden sich immer mehr, statt als Einheit zusammen zu stehen. Angesichts der aktuellen Probleme ist das keine gute Nachricht.

Sämtliche aktuellen Probleme betreffen alle europäischen Länder gleichermaßen. Die bedrohte Sicherheitslage durch den Ukraine-Krieg; die Covid-Pandemie, die gerade wieder an Fahrt aufnimmt; die Inflation mit stark steigenden Kosten für Energie, Ernährung und täglichen Bedarf; die sozialen Spannungen, die sich aus diesen Problemen ergeben; Klimawandel und ständig neue, beunruhigende Rekord-Phänomene – all das betrifft alle europäischen Länder und nicht nur eines oder ein paar. Aber wo steht Europa in all diesen und vielen weiteren Fragen?

Die EU ist in mehrere Blöcke zerfallen, die unterschiedliche Interessen haben, nicht die gleichen „Werte“ vertreten, sich gegenseitig mit Paragraphen ausbremsen. Dabei ist klar, dass die geographische Lage der Länder die Prioritäten in den aktuellen Krisen bestimmt. So ist in den baltischen Ländern, aber auch Skandinavien und Polen die Sorge vor dem Krieg momentan die Sorge Nummer 1, während in anderen Ländern die Auswirkungen auf die Wirtschaft und den sozialen Frieden im Vordergrund stehen. Doch statt in einer solch angespannten Lage zusammen zu stehen und das ganze politische und wirtschaftliche Gewicht von 500 Millionen Europäerinnen und Europäern in die Wagschale zu werfen, stolpert die EU in kleinen Grüppchen vor sich hin und spricht nicht mit einer Stimme.

Entsteht zwischen Deutschland und Polen so etwas wie die innere Grenze der EU? Wo sind die Gemeinsamkeiten zwischen Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei einerseits und Italien, Spanien, Portugal, Malta und Zypern andererseits, nur um diese zu nennen?

Es gibt in diesem Herbst 2022 vieles, vieles vorherzusehen, vorzubereiten, richtig zu machen. Dies wäre in einem anderen europäischen Rahmen deutlich einfacher. Ein „Europa der Willigen“, also derjenigen, die bereit sind, die wichtigen Fragen der heutigen Zeit im demokratischen Konsens im Interesse aller zu beantworten, wäre handlungsfähiger als ein gelähmter Riese von 27 Einzelkämpfern, die in den wirklich entscheidenden Fragen keine gemeinsamen Positionen haben.

Viel Zeit bleibt den europäischen Institutionen nicht mehr, um sich von innen heraus zu reformieren. Dabei werden „kosmetische“ Reformen nicht ausreichen – Europa muss demokratischer und effizienter werden, sonst ist der Zerfall programmiert. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht – wenn Europa Pech hat, wird es von der Dynamik der Zeitgeschichte überrollt werden.

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