Europa bröckelt immer weiter

Der Brüsseler Gipfel vom Wochenende hat es gezeigt – das „Europa der Solidarität“ ist am Ende. Man sollte über eine vollständige Neuausrichtung der EU nachdenken.

Ob sie es schaffen werden, das Auseinanderbrechen der EU zu verhindern, ist mehr als fraglich. Foto: (c) European Union

(KL) – Zu den „sparsamen vier“, die inzwischen fünf geworden sind, nachdem sich auch Finnland diesem losen Bund von Österreich, den Niederlanden, Schweden und Dänemark angeschlossen hat, kommen die üblichen Verdächtigen des „Visegrad-Clubs“ (Ungarn, Polen, Tschechische Republik und die Slowakei) und damit befindet sich jetzt schon ein Drittel der EU-Mitgliedsstaaten auf dem Pfad der Abtrünnigen. Wenn man jetzt noch die Anti-EU-Strömungen in Ländern wie Italien dazunimmt, dann muss man feststellen, dass die EU in ihrer bisherigen Form gescheitert ist. In erster Linie an ihrem völlig unsinnigen Prinzip der Einstimmigkeit. Doch statt sich zu reformieren, rennt die EU lieber jedes Mal wieder mit dem Kopf an die Wand – um am Ende zu Kompromissen zu kommen, die nichts und niemandem nützen.

Es geht um Geld. Um sehr viel Geld. Zunächst um 750 Milliarden Euro. Davon wollte die EU, so der Plan von Emmanuel Macron und Angela Merkel, 500 Milliarden Euro an diejenigen Länder ausschütten, die dieses Geld dringend brauchen, um nicht in der Wirtschaftskrise nach der sanitären Krise unterzugehen. Es geht also um Geld, das dort dringend gebraucht wird, wo die Covid-Krise am härtesten zugeschlagen hat. Doch Subventionen auszahlen, die gemeinsam von allen 27 zu tragen sind, das wollen die Abtrünnigen nicht. Lieber stürzen sie diese ohnehin stark verschuldeten Staaten mit neuen Krediten in neue Abhängigkeiten und neue Krisen. Erschreckend ist, dass diese existentielle Frage für Länder wie Italien, Spanien oder auch Griechenland inzwischen einem Drittel der EU-Mitgliedsstaaten völlig egal ist.

Eine Sonderrolle spielen die Niederlande und was deren Regierungschef Mark Rutte gerade veranstaltet, ist sehr kurzfristig gedacht. In wenigen Jahrzehnten werden die Niederlande aufgrund des irreversiblen Klimawandels zu einem Großteil unter Wasser stehen und das Land wird jede Hilfe brauchen, die es bekommen kann. Ob sich dann wohl Europa daran erinnern wird, wie unsolidarisch die Niederlande im Jahr 2020 mit den Ländern waren, in denen das Coronavirus so gewütet hatte?

Sie werden sich wohl in der letzten Nacht auf eine von zwei Optionen verständigt haben. Entweder wird eine Entscheidung vertagt, was für die betroffenen Länder schlimm wäre, denn dort, wo man gerade Hilfe braucht, ist es dringend oder aber man einigt sich auf einen fadenscheinigen Kompromiss wie denjenigen, den die „sparsamen vier“ vorgeschlagen hatten und bei dem der größte Teil der Hilfsgelder eben doch als Kredit ausgegeben werden soll. Doch damit wird auch die Idee eines solidarischen Europas beerdigt.

Nach dem Brexit ist es an der Zeit sich einzugestehen, dass dieses EU-Modell am Ende ist. Nur, warum traut sich niemand an die Schritte, die nun auf dem Programm stehen? Der erste Schritt muss sein, dass die EU die Einstimmigkeit ihrer Entscheidungen abschafft und zu einer qualifizierten Mehrheit gelangt. Es kann nicht sein, dass die EU vor Ländern wie Ungarn und Polen einknickt, die das Annehmen von europäischen Geldern von der Zusage abhängig machen, dass sie weiterhin rechtsstaatliche Prinzipien und Menschenrechte verletzen dürfen. Wenn diese Länder nicht in einem von Mehrheitsentscheidungen geprägten Europa mitwirken wollen, dann dürfen sie sich gerne verabschieden und schauen, wie sie als Puffer zwischen der EU und Russland klarkommen. Es kann aber nicht sein, dass die EU als Ganzes weiterhin von diesen Ländern am Nasenring durch die Manege geführt wird.

Ob das, worauf man sich in der letzten Nacht in Brüssel verständigt hat, zur Lösung der riesigen Probleme beiträgt, die in der Folge der sanitären Probleme auf uns zukommen, das wird man sehen. Doch wenn sich die EU nicht endlich zu substantiellen Reformen durchringt, dann wird sie implodieren – und dieser Prozess hat bereits begonnen. Eine grundlegende Reform der europäischen Institutionen ist kein Projekt, sondern die Voraussetzung dafür, dass die EU diese aktuellen Krisen übersteht. Und solche Entscheidungen sollte man vielleicht nicht unbedingt Personen wie Viktor Orban oder Mark Rutte überlassen.

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