Europa entscheidet nicht, Europa „empfiehlt“

Selbst die Frage der Tests für Reisende aus China, wo hunderte Millionen Menschen mit einem neuen Covid-Variant infiziert sind, kann nicht mehr gemeinsam entschieden werden...

Bei der Einreise aus China muss auch in Deutschland ein aktueller, negativer Test vorgezeigt werden. Foto: Unknown author / Bundesarchiv / B 145 Bild-F079070-0037 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – So, nun hat die EU sich aber mächtig ins Zeug gelegt. Da es aus unerfindlichen Gründen nicht möglich war, dass sich die 27 auf eine gemeinsame Linie für den Umgang mit aus China einreisenden Menschen verständigen, hat man nun eine „Empfehlung“ ausgesprochen, Tests, die man nicht vorschreiben will, doch durchzuführen. Aber nur freiwillig. Kein Wunder, dass Länder wie Spanien, Frankreich, Italien oder seit gestern auch Deutschland solche Tests für Reisende aus China, wo gerade rund eine Viertel-Milliarde Menschen Covid-infiziert sind, bereits verpflichtend vorgeschrieben haben. Doch wenn nicht alle Länder des Schengen-Raums eine einheitliche Linie fahren, nützen auch die Tests in diesen Ländern nichts. Denn eine infizierte Person kann problemlos in einem anderen Land einreisen und sich dann frei im ganzen Schengen-Raum bewegen.

Die EU macht also genau da weiter, wo sie 2022 aufgehört hat – in einer entscheidungsschwachen Bedeutungslosigkeit. Dass es heute nicht einmal mehr möglich ist, angesichts einer gemeinsamen Bedrohung wie dem Covid-Virus, das seit drei Jahren die Welt auf den Kopf stellt, eine gemeinsame Linie zu beschliessen, das ist schon unglaublich. Ein angesichts der multiplen Krisen völlig sinnloser Neo-Nationalismus hat den Gedanken eines geeinten Europas offensichtlich bereits abgelöst, wobei selbst die letzten drei Jahre den Regierungen nicht verständlich gemacht haben, dass kein Land mehr alleine diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen kann. Stattdessen versuchen sich Möchtegern-Staatenlenker als „Bezwinger der Pandemie“ darzustellen und das zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Viertel-Milliarde infizierter Chinesen mit einem neuen Variant unterwegs ist, was eigentlich zeigt, dass Covid noch lange nicht bezwungen ist.

Dabei ist der politische Diskurs der gleiche wie im Frühjahr 2020. Auch damals erklärten westliche Politiker, dass keinerlei Gefahr bestünde, dass das Virus nicht nach Europa käme und dieses Narrativ wurde, beispielsweise von der damaligen französischen Gesundheitsministerin Buzyn (gegen die mittlerweile ein Verfahren läuft) bis in den März 2020 aufrecht gehalten, also bis wenige Tage vor der Schließung der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich. Wie man in einer Situation, in der ein neues Variant mehr Menschen infiziert als alle anderen Varianten zuvor, behauptet, dass die Pandemie vorbei sei und es lediglich hier und da noch ein paar „epidemische Nester“ gäbe, der handelt wider jeden Verstand.

Der Grund für dieses überhastete Erklären des Endes der Pandemie hat allerdings einen Hintergrund: Die Länder haben kein Geld mehr für die unglaublichen Ausgaben für Impfungen, Krankenhäuser, Gesundheitssysteme. Die Bundesregierung sitzt auf 212 Millionen Biontech-Impfdosen, die bezahlt sind und irgendwie unter die Leute gebracht werden müssen. Für neue sanitäre Maßnahmen ist kein Geld mehr da, zumal wir ja in der Zwischenzeit angefangen haben, den Krieg in der Ukraine für alle Kriegsparteien zu finanzieren und bereits Geld zur Seite legen müssen, da wir ja auch zugesagt haben, die in diesem Krieg angerichteten Schäden zu reparieren.

Wie nützlich „Empfehlungen“ sind, das erkennt man, wenn man in eine volle Straßenbahn in Straßburg steigt. Hier wird an jeder Ecke „empfohlen“, aus sanitären Gründen eine Gesichtsmaske zu tragen. Ergebnis – wenn 5 % der Fahrgäste eine solche Gesichtsmaske tragen, dann ist das schon viel. Folge – die Maßnahme bringt schlicht und ergreifend nichts.

Die Hilflosigkeit der EU ist selbstverschuldet. Als Zeit war, die Institutionen zu reformieren, beispielsweise ab 2016, als sich der Brexit ankündigte, hätte man den dringend benötigten Reformprozess starten können. Doch das ist nicht geschehen.

Es fällt immer schwerer, die EU in ihrem aktuellen Zustand zu verteidigen. Die EU, das ist die traurige Feststellung heute, arbeitet nicht etwa für die 500 Millionen Europäer und Europäerinnen, sondern in erster Linie für die mächtigen Industrien, die Banken und natürlich die eigene Tasche (denn niemand glaubt ernsthaft, dass der Fall Kaili ein Einzelfall ist). Aber dass sich die EU heute nicht einmal darauf verständigen kann, alles zu tun, um den Einfall des neuen chinesischen Variants zu verhindern, das bewegt sich schon am Rande zum politischen Offenbarungseid. 2023 wird auch für die EU kein gutes Jahr werden, doch liegt das nicht so sehr an den äußeren Umständen, als vielmehr an den Unzulänglichkeiten der handelnden Personen.

Und wir alle müssen uns endlich darüber klar werden, dass wir systematisch die falschen Leute an die Macht wählen. Wer verhindern will, dass sich diese Krisen in einer Orgie der Gewalt auflösen, sollte schleunigst anfangen, sein Wahlverhalten zu ändern. Denn diese Verantwortlichen können nur deshalb so versagen, weil wir ihnen das immer wieder erlauben…

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