Europa muss sich entscheiden

Momentan führt jedes europäische Land seine eigene Ukraine-Politik. Doch das kann nicht gutgehen. Entscheidungen über Art und Weise des Engagements für die Ukraine und den Frieden müssen gemeinsam getroffen werden.

Angesichts dieses Horrors muss Europa gemeinsam entscheiden und handeln. Foto: Oleksandr Ratushniak / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Der fürchterliche Ukraine-Krieg, initiiert von einem verbrecherischen Diktator, stellt die internationale Gemeinschaft vor schwierige Fragen. Natürlich muss unsere Solidarität der Ukraine gelten und bislang erfolgen die solidarischen, militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Hilfen für die Ukraine auf einer Ebene, die es seit dem II. Weltkrieg nicht gegeben hat. Doch bevor sich die Welt mit „Hurra!“ in den III. Weltkrieg stürzt, muss es eine europäische Abstimmung geben. Doch so lange sämtliche europäischen Länder ihre individuelle Ukraine-Politik führen, wird die Wirkung einzelner Maßnahmen immer schwächer werden.

Es ist Aufgabe aller europäischen Regierungen, und darauf schwören die meisten europäischen Regierungschefs ihren Amtseid, Schaden von ihrem Volk abzuwenden. Sich in den III. Weltkrieg treiben zu lassen ist allerdings das Gegenteil dieser zentralen Verpflichtung aller Regierungen. Insofern kann eigentlich keine europäische Regierung für sich alleine entscheiden, diesen III. Weltkrieg zu starten. Etwaige Interventionen, Unterstützungen, humanitäre oder auch militärische Hilfen müssen auf europäischer Ebene im Konsens organisiert werden. Doch momentan führen praktisch alle europäischen Länder ihre eigene Ukraine-Politik, dazu kommt noch die Europäische Kommission, die ohne Mandat Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Ukraine in die Wege leitet.

Die Maßnahmen, die zu Beginn des Kriegs gemeinsam beschlossen und umgesetzt wurden, nämlich die wirtschaftlichen Sanktionen, haben Putin ins Mark getroffen. Entgegen der großmäuligen Propaganda Russlands ist die russische Wirtschaft schwer angeschlagen, politisch ist Russland gegenüber wichtigen Handelspartnern auf Jahre hinaus diskreditiert und selbst China wird überlegen müssen, ob es einen Handelspakt mit einem Land, das 144 Millionen Einwohner mit geringer Kaufkraft hat, langfristig der Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt vorzieht. Die große internationale Solidarität nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist bemerkenswert, doch erstaunlicherweise fängt sie nun an zu bröckeln.

Momentan herrscht reger Reiseverkehr zwischen dem Westen und Kiew. Sich mit Selensky zu zeigen, das bringt Punkte zuhause und deswegen fährt nun auch einer nach dem anderen in die ukrainische Hauptstadt. Zumindest diejenigen, die man dort gerne empfangen möchte, andere werden schnöde ausgeladen.

Doch ist es brandgefährlich, wenn sich einzelne Länder gerade in eine Situation treiben lassen, in der sie selbst Kriegspartei werden. Mag sein, dass die EU und/oder die NATO tatsächlich entscheiden, Kriegspartei zu werden. Nur kann eine solche Entscheidung nicht in Kiew getroffen werden, sondern ausschließlich in Brüssel und Straßburg. Auch nicht in Berlin, Paris, London, Warschau oder Madrid. Wirkung kann nur dann erzielt werden, wenn die EU als Einheit auftritt, gemeinsam Entscheidungen trifft und diese dann umsetzt. Doch bevor eine Entscheidung zum Start des III. Weltkriegs getroffen wird, wäre es durchaus sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, was man eigentlich mit diesem III. Weltkrieg bezweckt.

Über allem schwebt momentan auch das Schreckgespenst eines Atomschlags. Dabei reicht es nicht, sich die Bilder von Hiroshima und Nagasaki anzuschauen, denn die heute verfügbaren Atomwaffen haben eine Vernichtungskraft, gegenüber der die Atombomben von 1945 wie Sylvesterknaller aussehen. Wir müssen uns schon darüber klar werden, ob wir wirklich die Vernichtung Europas in Kauf nehmen wollen, um in der Ukraine „europäische Werte“ zu verteidigen, die dort ebenso wenig Kurs haben wie in Europa selbst.

Die Alleingänge der europäischen Regierungen werten einmal mehr die EU ab. Und leider stimmt der alte Satz „Wenn der letzte Überlebende des letzten großen Kriegs gestorben ist, rufen die Menschen nach dem nächsten Krieg“. Bevor man nun in den III. Weltkrieg stolpert, lohnt es sich, darüber nachzudenken, dass die letzten Weltkriege 100 Millionen Menschenleben und Vernichtungen zur Folge hatten, die unendliches Leid bedeuteten und deren Reparation Jahrzehnte dauerte.

Wenn man sich heute wundert, dass in der Ukraine ein „dreckiger Krieg“ mit Kriegsverbrechen geführt wird, dann ist das etwas blauäugig. Es hat noch nie einen „korrekten“ Krieg gegeben, in dem die Kriegsparteien höflich miteinander umgegangen wären. Krieg ist ein schmutziges Geschäft, bei dem alle Beteiligten unter Einsatz aller verfügbaren Mittel versuchen, den jeweiligen Gegner zu vernichten. Das war schon immer so, mit dem Unterschied zu heute, dass wir in der modernen Zeit über Waffen verfügen, mit denen theoretisch das Leben auf ganzen Kontinenten ausgelöscht werden kann. Eine Eskalation zu diesem Punkt zu betreiben, fällt vermutlich nicht unter „Schaden vom eigenen Volk abwenden“. Es sei denn, dass irgendjemand glaubt, dass Putin aus ethischen Erwägungen darauf verzichtet, sein gesamtes Arsenal einzusetzen, vor allem, wenn er unter Druck steht.

In der wohl größten Krise in Europa seit dem II. Weltkrieg ist Europa gefordert. Und Europa muss gemeinsam auftreten und gemeinsam entscheiden. Die Zukunft von 500 Millionen Europäern und Europäerinnen steht auf dem Spiel und dies sollte zumindest dazu reichen, dass man gemeinsam überlegt und gemeinsam entscheidet. Sollte das nicht gelingen, wird man irgendwann auch die Frage beantworten müssen, wofür wir uns eigentlich für viel Geld den Luxus zahlreicher europäischer Institutionen leisten. Aber zugegeben, wenn man sich das europäische Spitzenpersonal anschaut, dann fällt es schwer daran zu glauben, dass diese Politiker.Innen in der Lage sind, eine europäische Position zu diesem Krieg zu finden. Nur – um Angela Merkel zu zitieren, eine europäische Ukraine-Politik ist heute „alternativlos“. Denn wie sehr Deutschland, Frankreich oder Großbritannien den Kreml-Fürsten beeindrucken, das erleben wir seit einigen Wochen…

1 Kommentar zu Europa muss sich entscheiden

  1. Die Forderung ist doch unsinnig. Über die Figur van der Leyen lacht sich doch jeder tot … eine EU die Krieg führt, aber nicht imstande ist zu den einfachsten Dingen verbindliche Beschlüsse zu fassen, wie soll das den gehen?

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