Europa muss sich neu erfinden

Die aktuellen Krisen zeigen deutlich, dass sich Europa neu aufstellen muss, will es im internationalen Konzert mitspielen. Und mit der deutschen Vorherrschaft in Europa ist es vorbei.

Wenn Europa eine Rolle in der internationalen Politik spielen will, muss es seine Institutionen reformieren. Foto: Bearas / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Es gab Zeiten, da wurde europäische Politik von Deutschland und Frankreich gemacht, verhandelt hinter verschlossenen Türen, umgesetzt von der Europäischen Kommission hinter ebenso verschlossenen Türen. Es gab praktisch nichts, was ohne deutsche Zustimmung passieren konnte und inzwischen sind wir so weit, dass Europa nur noch ein schlafender und gelähmter Riese ist, dessen Wort auf der internationalen Politik-Bühne kaum Gewicht hat. Will man in Brüssel, Straßburg und Luxemburg künftig die Weltpolitik nicht mehr nur „erdulden“, dann müssen die europäischen Institutionen so schnell wie möglich modernisiert werden. Doch das bleibt vermutlich ein frommer Wunsch.

Ob es sich um die Pandemie dreht, um den Ukraine-Krieg, um die Energieversorgung oder die Kaufkraft, um Soziales oder den Umwelt- und Klimaschutz oder auch den Umgang mit Flüchtlingen – Europa ist weitgehen inexistent. Hauptgrund dafür ist die elende Regel der Einstimmigkeit, die bei 27 Mitgliedsstaaten praktisch nie gegeben ist. Doch was nützt ein internes Regelwerk, wenn dieses in erster Linie dazu dient, einen selbst zu lähmen und handlungsunfähig zu machen.

„Jaaa“, denken jetzt manche, „aber in der Pandemie hat die EU doch 750 Milliarden Euro locker gemacht, für den Ankauf von Impfdosen und Hilfen für den Wiederanlauf der Wirtschaft?“ Das mag sein. Die EU-Institutionen sind immer präsent, wenn es darum geht, Bereichen wie Finanzen, Automobil, Waffen und Pharma massiv finanziell unter die Arme zu greifen. Gerne auch ohne Gegenleistungen. Doch kann es nicht sein, dass die EU nicht mehr ist als ein Erfüllungsgehilfe für das Großkapital.

Ebensowenig, wie es eine europäische Position zum Ukraine-Krieg gibt (außer dem Slogan „Russland darf nicht gewinnen!“), gibt es europäische Ansätze zur gemeinsamen Bekämpfung der Pandemie, konkrete Aktionen zum Schutz von Umwelt und Klima, konkrete Ansätze für ein „Europa der Energie“ oder auch ein „Europa der Verteidigung“. Die EU-Oberen haben es tatsächlich geschafft, aus einem kontinentalen Völkerbund eine lose Kooperation von Nationalstaaten zu machen, die gelegentlich gemeinsam reden, aber individuell handeln.

Die europäische Ungeeintheit nutzen momentan viele andere Länder – die USA, die asiatischen und die afrikanischen Länder, und natürlich auch die Ukraine und Russland, führen alle bilaterale diplomatische Gespräche und dirigieren die europäischen Staaten dorthin, wo man sie haben will. Europa ist gerade noch gut genug, Geld und Waffen zu liefern, zum politischen Ansprechpartner reicht es nicht mehr. Wenn irgendwo vermittelt werden muss, dann machen das heute die Türkei oder Kanada, aber nicht mehr die europäischen Länder wie Deutschland oder Frankreich, die beide noch nicht verinnerlicht haben, dass der „europäische Motor Paris-Berlin“ längst abgesoffen ist.

Die Rolle sämtlicher europäischen Institutionen muss neu definiert werden, die unglaubliche, wenn auch nicht genutzte Macht der Europäischen Kommission mit ihren 33.000 Beamten muss gebrochen werden, das Europäische Parlament muss endlich wie jedes andere Parlament in Europa funktionieren und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet werden, der Europarat sollte den diplomatischen Part der EU übernehmen und dafür entsprechende Vollmachten erhalten und der Europäische Rat sollte lediglich eine Richtlinien-Kompetenz haben.

Doch welcher EU-Beamte sägt schon freiwillig an seinem eigenen Stuhl? Speziell in Brüssel setzt man alles daran, dass man in der europäischen Bedeutungslosigkeit verharrt, denn immerhin leben die Brüsseler Hofschranzen prächtig von ihren üppigen Gehältern und sonstigen Privilegien.

Doch muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Zeit und die Ereignisse gegen die EU spielen. Je wirkungsloser die EU in den aktuellen, schweren Krisen bleibt, desto mehr werden sich die Menschen von diesem lahmenden Riesen entfernen. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Reform der Institutionen“, hört man hier und da. Ja, aber wann wäre dann der richtige Zeitpunkt? Wenn es blöd läuft, liegt der richtige Zeitpunkt bereits hinter uns…

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