Europa muss zu neuen Ufern aufbrechen

Der frühere Generaldirektor für politische Angelegenheiten des Europarats, Klaus Schumann, hat bei den Kollegen der DNA eine interessante Idee ins Gespräch gebracht – den „Europa-Kongress 2.0“.

Beim Europa-Kongress 1948 in Den Haag wurden die Weichen für ein gemeinsames Europa gestellt - es ist Zeit für einen "Europa-Kongress 2.0" in Strassburg. Foto: Nationaal Archief / Snikkers / Anefo / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Kaum jemand kennt die Geschichte und die Entwicklung der europäischen Institutionen besser als Klaus Schumann, der ehemalige Direktor für politische Angelegenheiten des Europarats. Als konstruktiver Kritiker der aktuellen Entwicklung der Institutionen brachte er nun bei den Kollegen der „Dernière Nouvelles d’Alsace“ in einem Gastbeitrag ein hoch interessantes Konzept ins Gespräch, das noch dazu ein historisches Vorbild hat – den „Europa-Kongress“ nach dem Vorbild des „Haager Europa-Kongresses“, der 1948 im niederländischen Den Haag stattfand. Klaus Schumann regt an, einen solchen Kongress in der Europahauptstadt Straßburg zu organisieren, um nicht nur frischen Wind in die mächtig in den Seilen hängenden europäischen Institutionen zu bringen, sondern um dem „Projekt Europa“ eine neue, bessere Richtung zu geben.

Der Europa-Kongress stand 1948 in Den Haag natürlich unter dem Vorzeichen des gerade beendeten Kriegs und war beseelt vom Wunsch, ein geeintes Europa zu schaffen, das künftig Kriege wie die beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts verhindern sollte. Unter der Schirmherrschaft von Winston Churchill wurden bei diesem Kongress viele Weichen gestellt, allerdings leider nicht alle formulierten Ziele umgesetzt. So forderten die über 700 Delegierten aus ganz Europa die Einrichtung eines föderalistischen Europas und heute merkt man, dass es deutlich besser gewesen wäre, hätte man dieses eingerichtet, statt sich auf eine hoch komplizierte und heute faktisch gelähmte intergouvernementale Struktur zu verständigen. Immerhin, die Gründung des Europarats geht auch auf diesen Kongress zurück, aus dem sich auch die „Europäische Bewegung“ entwickelte.

„Seit dem britischen Referendum hört man immer mehr Rufe nach einem ‚neuen Europa‘“, sagt Klaus Schumann, „und nun gilt es, die Lektionen aus diesem Misserfolg zu lernen und eine Ausbreitung [der Europamüdigkeit] zu verhindern. Es ist kaum übertrieben, wenn man heute sagt, dass aus dem ‚europäischen Traum‘ ein ‚europäischer Albtraum‘ geworden ist“, so der Politikexperte.

Interessant bei den Ausführungen Schumanns ist, dass auch er inzwischen mehr Vertrauen in die aktiven Kräfte der Gesellschaft als in das aktuelle europäische Spitzenpersonal hat. Ebenso wie 1948, als der Haager Europa-Kongress auf Grundlage einer privaten Initiative über 700 engagierte Europäerinnen und Europäer zusammenbrachte, die gemeinsam eine „Road Map to Europe“ erarbeiteten, wäre nach Ansicht Schumanns nun der Zeitpunkt gekommen, in Straßburg einen solchen „Europa-Kongress 2.0“ zu organisieren. Denn, so die bittere Bilanz des Experten, seit der Einrichtung der europäischen Institutionen, die 1949 begann, haben sich diese immer mehr festgefahren und haben es letztlich geschafft, dass in ganz Europa die Europa-Skeptiker und Europa-Gegner immer mehr Rückenwind haben.

Statt es bei dieser tristen Feststellung zu belassen, könnte ein solcher Kongress der pro-europäischen Zivilgesellschaft tatsächlich Vorgaben für die Hohe Politik definieren, die einen Richtungswechsel der europäischen Politik zur Folge haben könnte und müsste. Denn nach wie vor wünschen sich die Menschen in Europa ein soziales, solidarisches und humanistisches Europa, das ein Hort der Menschenrechte sein soll, doch das, was das institutionelle Europa tatsächlich abliefert, ist von diesen Idealen weit entfernt. Europa 2016 ist unsozial, unsolidarisch und führt gerade den Ausverkauf unserer humanistischen Werte durch, da es unfähig ist, Aufgaben wie die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen gemeinsam zu bewältigen. Doch die 500 Millionen Europäerinnen und Europäer wollen kein Europa, das sich nur noch als Erfüllungsgehilfe der Finanzmärkte sieht und gerne mit den Diktatoren dieser Welt kooperiert, wenn es damit seine Ziele erreicht – weswegen ein solcher „Europa-Kongress“ mehr als sinnvoll wäre.

So gut diese Idee ist, sie müsste, genau wie 1948, von privater Seite organisiert werden, denn die europäischen Ambitionen der Europahauptstadt Straßburg beschränken sich, sieht man einmal von dem unermüdlichen Engagement einer Catherine Trautmann ab, vor allem auf lauwarme Lippenbekenntnisse seitens der Stadt. Da weder das Europäische Parlament, noch der Europarat besonders geneigt zu sein scheinen, ihre eigene Rolle und ihr eigenes Wirken kritisch zu hinterfragen, könnte eigentlich nur eine solche private Initiative einen „Europa-Kongress 2.0“ organisieren.

Wenn man diesen Gedanken im Jahr 2016 einen Schritt weiterdenkt, könnte man sich gut vorstellen, dass in den Mitgliedsstaaten über entsprechende Online-Plattformen Debatten zu Sinn, Zweck und Ausrichtung der europäischen Institutionen durchgeführt werden und Delegierte für den „Europa-Kongress 2.0“ gewählt werden. Ein solches Vorgehen hätte einen mehrfachen Nutzen – zum Einen würde das Thema „Europa“ auf eine für die Bürgerinnen und Bürger greifbare Ebene heruntergebrochen werden, es würde eine partizipative Dimension geschaffen, die im heutigen Europa fehlt und als Ergebnis könnte den Institutionen eine neue „Road Map“ vorgelegt werden, die fast ebenso repräsentativ für den Willen der Europäerinnen und Europäer wäre wie die Europawahlen selbst.

In Zeiten, in denen die Politik die Aufgaben nicht mehr bewältigen kann, wäre es sinnvoll, den Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft zu suchen, die in vielen Bereichen eine positivere Einstellung zu „Europa“ an den Tag legt als die Verantwortlichen selbst. Der Vorschlag von Klaus Schumann sollte ernst genommen und – umgesetzt werden.

1 Kommentar zu Europa muss zu neuen Ufern aufbrechen

  1. Ein sehr schöner Gedanke und mir geht es sehr ähnlich. Ich sehe die zahlreichen Probleme, die aus der Fehlkonstruktion der EU (Keine echte gemeinsame Verfassung, mangelnde Gewaltenteilung, keine Wahlrechtsgleichheit, Übermacht der nationalen Regierungen usw.) resultieren. Und wenn ich dann höre, dass als Reform jetzt eine Art Sparkommissar zur Überwachung der Austerität in der Eurozone vorgeschlagen wird, habe ich einfach keinerlei Hoffnung auf Besserung mehr.

    Deshalb wäre es wirklich ein Schritt nach vorne, wenn auf dem Weg zur europäischen Einigung endlich die Zivilgesellschaft eingebunden werden würde.

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