Europäische Einigkeit?

Seit Monaten hören wir, dass der Ukraine-Krieg den Westen und Europa zusammenschweißt. Doch in der Praxis tun sich gerade tiefe Kluften zwischen den Ländern auf.

Was genau verspricht sich Polen von einem Armdrücken mit Deutschland? Foto: www.pixel.la Free Stock Photos / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Die europäische Solidarität ist so eine Sache. Sie funktioniert vor allem bei schönem Wetter, aber nicht unbedingt, wenn der Druck groß ist. Das merkt man momentan besonders im Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. Ob es besonders zielführend ist, dass die Polen jetzt versuchen, alte Rechnungen zu begleichen und gleichzeitig die deutsche Energiepolitik bestimmen zu wollen, ist mehr als fraglich.

Bei der Frage von Umverteilungen von Gas und Öl im Falle einer (absehbaren) Knappheit ist eigentlich wichtig. Ein gemeinsames, europäisches Management vorhandener Ressourcen würde in der aktuellen Situation sehr sinnvoll sein. Doch Polen möchte Deutschland keine dieser Ressourcen abtreten, es sei denn, Deutschland würde die horrenden Reparationsforderungen Polens in der Folge des II. Weltkriegs erfüllen. Dazu ist der polnische Vorschlag, stillgelegte deutsche AKWs zu „pachten“, geradezu hämisch. Dass Deutschland den Atomausstieg beschlossen hat, ist keine polnische Angelegenheit, sondern eine Entscheidung eines souveränen Staats, auch, wenn Deutschland gerade laut überlegt, ob man angesichts der zu erwartenden Energie-Verknappung nicht einige AKWs länger laufen lässt, als dies ursprünglich geplant war. So oder so, diese Entscheidung fällt in Berlin und sicher nicht in Warschau.

Gleichzeitig pflegt Ungarns Viktor Orban wieder prächtige Beziehungen mit Russland, beteiligt sich nicht an den Sanktionen, sondern kauft jede Menge russische Energieträger für den nächsten Winter. Doch bevor man ihm diesen Vorwurf machen kann, sollte man nicht vergessen, dass praktisch alle westlichen Länder weiterhin ihre Energieträger in Russland einkaufen, brav die Rechnungen über die Gazprom-Bank in der Schweiz in Rubel bezahlen und die verhängten Sanktionen ebenfalls umgehen, wo dies möglich ist. Was man Orban allerdings vorwerfen kann, ist die fehlende europäische Abstimmung, die einmal mehr zeigt, dass Europa in Richtung Osten immer brüchiger wird.

Der Ukraine-Krieg legt mehr Probleme offen, als das Europa lieb sein könnte. Die polnischen Ressentiments gegenüber Deutschland konnten nie ausgeräumt werden, und treten nun wieder deutlich an den Tag, zu einem Zeitpunkt, zu dem tatsächlich europäische Solidarität gefragt wäre.

Und einmal mehr rächt sich die Unfähigkeit der europäischen Institutionen, sich zu reformieren. Die EU wird immer mehr zu einem Supertanker, der auf hoher See nur extrem langsam reagieren kann und manövrierbar ist. Erstaunlich, dass zwar jeder in Europa sieht, dass die aktuellen europäischen Institutionen mit ihrer völlig überholten Regel der Einstimmigkeit in einer Art Dauerlähmung verharren, aber sich dennoch niemand berufen fühlt, die überfällige Reform der Institutionen anzugehen. So bewegt sich Europa langsam, aber sicher, ins weltpolitische Abseits.

Berlin sollte nun möglichst entspannt mit der polnischen Einmischung in die deutsche Energie-Politik umgehen und möglichst nicht auf die polnischen Provokationen reagieren. Aber unpassend sind die Einlassungen Warschaus auf jeden Fall – als ob Europa nicht gerade schon genug Probleme hätte…

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