Europawahl? Europawahlen?
Nächste Woche gilt's – 500 Millionen Europäerinnen und Europäer wählen das neue Europäische Parlament. Allerdings ist es nicht DIE Europawahl, sondern es finden parallel 28 Europawahlen statt.
(KL) – Dass wir Europäer und Europäerinnen demokratisch ein gemeinsames Parlament wählen können, ist eine feine Sache. Allerdings findet nächste Woche nicht EINE Europawahl, sondern 28 Europawahlen unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen und in ganz verschiedenen Formaten statt. Diese Unterschiede im Wahlformat führen dazu, dass diese Wahlen ganz schwer zu vergleichen sind und teilweise sogar unterschiedliche Zielsetzungen haben. Schauen wir uns diese Unterschiede einmal an.
Nächste Woche erleben wir zahlreiche Varianten verschiedener Wahlsysteme. Während die einen noch das gute, alte und vor allem britische „First-past-the-post“-System, also das reine Mehrheitswahlrecht anwenden, setzen die meisten europäischen Länder auf das proportionale Wahlrecht. Doch proportionales Wahlrecht ist nicht gleich proportionales Wahlrecht. So gibt es in Frankreich und anderen Ländern die 5 %-Hürde, die wir aus Bundes- und Landtagswahl kennen. Italien hat eine 4%-Hürde. Deutschland hat eine 0%-Hürde. Belgien verpflichtet seine Bürgerinnen und Bürger bei Strafandrohung, an der Wahl teilzunehmen. Nicht so schlimm, denken Sie? Soll doch jedes Land wählen, wie es will? Nein, denn genau das führt zu großen Problemen.
In Deutschland stellen wir seit 2014 fest, dass die 0 %-Hürde zwar zu einer ziemlich unübersichtlichen Kandidatensituation führt (41 Listen!), dafür aber auch kleinen und sogar kleinsten politischen Formationen Gehör in den europäischen Institutionen verschafft. Bei dieser 0%-Hürde gibt es keine „taktischen“ Stimmen mehr, sondern jede und jeder kann für diejenigen stimmen, von denen er oder sie sich vertreten fühlt. Waren im letzten Europäischen Parlament sieben Abgeordnete aus solchen Mini-Parteien vertreten, könnten es dieses Jahr sogar noch mehr werden. Pfiffige Köpfe haben ausgerechnet, dass ungefähr 0,6 % der Stimmen für einen Sitz im Europäischen Parlament ausreichen könnten. Und das erklärt auch die 9 %, die aktuell in den Umfragen für „Andere“ angegeben werden.
In den Ländern, in denen die ansonsten in Deutschland übliche 5%-Hürde (oder 4 wie in Italien) zum Tragen kommt, findet eine ganz andere Wahl statt. Denn in diesen Ländern, in denen „taktisch“ gewählt wird (keine Stimmen für die kleinen Parteien, da alle Stimmen für Parteien, die unter 5 % bleiben, mehr oder weniger „verlorene“ Stimmen sind, die in erster Linie den großen Parteien nützen), verschiebt sich der Themenschwerpunkt von Europa-Themen zur nationalen Politik. Da wird um Koalitionen gerungen, es werden Versprechen gemacht und gebrochen und am Ende bleibt als kleinster gemeinsamer Nenner eben nicht Europa, sondern das „Abstrafen“ der nationalen Regierungen. Und damit finden alleine schon zwischen Frankreich, Italien und Deutschland drei völlig unterschiedliche Wahlen statt, deren Format-Unterschiede eben auch Auswirkungen auf die Inhalte haben.
Warum sollte es nicht möglich sein, eine einheitliche Europawahl, am gleichen Tag und mit transnationalen Listen durchzuführen? Klar, für die Parteien bedeutet dies einen größeren Aufwand, aber damit müssen sie leben. Transnationale Listen reduzieren auch das Risiko der national ausgerichteten Wahlkämpfe (da sich Kandidaten und Kandidatinnen aus verschiedenen Ländern auf gemeinsame, europäische Themen einigen müssen) und würden das Europaverständnis der Menschen deutlich steigern können.
Insofern sind dann am Ende beide Begriffe richtig: Europawahl und Europawahlen. In jedem EU-Mitgliedsstaat findet eine Europawahl statt und damit 28 Europawahlen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn man es schaffen würde, in der kommenden Legislaturperiode das Wahlsystem europaweit zu vereinheitlichen. Ein kleiner Schritt, aber viele kleine Schritte ermöglichen es, den richtigen Weg zu gehen.
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