Experten oder Amateure an der Regierung?

Erfindet Österreich gerade die Demokratie neu? Die Abwahl von Bundeskanzler Sebastian Kurz hat zu einer Neuerung geführt – Österreich wird jetzt von Experten regiert. Warum ist das eigentlich nicht immer so?

Warum nicht mal Leute an der Regierung, die tatsächlich Ahnung haben? Foto: GSB Experten / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Die österreichische Bundeskanzlerin heißt, zumindest bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im September, Brigitte Bierlein. Dass sie praktisch niemand außerhalb von Österreich kennt, ist nicht schlimm. Denn die Frau bringt in dieser Austria-Regierungskrise als Interims-Kanzlerin eine Qualität mit, die man normalerweise nicht unbedingt in einem solchen Amt erwartet: Die Verfassungsrichterin hat nämlich Ahnung. Und außerdem wird sie garantiert keine populistischen Sprüche in dieser Übergangszeit loslassen und damit die aufgeheizte politische Debatte in Österreich etwas beruhigen können. Nicht schlecht und vielleicht sogar nachahmenswert. Ein Land von Experten statt von Amateuren regieren zu lassen, ist ein vielleicht gar nicht so schlechtes Konzept.

Der größte Teil der Interims-Regierung besteht aus hohen Beamten, die bislang bereits in leitender Funktion in den jeweiligen Ministerien gearbeitet haben und statt dem „unverbauten Blick“ Sachkenntnis haben. Eine interessante Herangehensweise, die man auf die Formel „Kompetenz statt Ideologie“ herunterbrechen könnte. Da stellt sich doch die Frage, warum man nicht generell und immer Ministerien nach Sachkenntnis und Kompetenz besetzt.

Vieles an dieser Übergangsregierung gefällt. So wies Bundespräsident Alexander van der Bellen bei der Vorstellung der Übergangsregierung darauf hin, dass dieses Kabinett nicht nur fachkundig, sondern auch absolut paritätisch mit Männern und Frauen besetzt ist. Das, was die österreichischen Wählerinnen und Wähler und vor allem die Parteien seit Jahren nicht hinbekommen, entsteht nun aus der Not einer Regierungskrise heraus – Österreich hat plötzlich eine kompetente Regierung, die sich um das Management des Landes und nicht die ewig hohlen ideologischen Debatten zwischen Rechtsextremisten und Progressisten kümmert. Eine Regierung, die sich nicht in erster Linie um ihren eigenen Machterhalt sorgt, der ja ohnehin zeitlich begrenzt ist, sondern die sich in ihrer kurzen Amtszeit um die Interessen des Landes kümmert. Was ja eigentlich die Aufgabe jeder Regierung sein sollte.

Das Beispiel Österreich zeigt ein wenig unfreiwillig, dass wir in unseren Demokratien an einer Grenze angekommen sind, die niemand erwartet hatte. Es sind die Parteien und ihr eigener politischer Diskurs, die zu Regierungskrisen, Abwahlen und Stürzen und gleichzeitig zum Aufstieg der inhaltsleeren Neonationalisten führen. Es ist eben gerade der Umstand, dass in unseren Regierungen normalerweise keine Experten sitzen, der zu dieser zähen und ideologisch vergifteten politischen Debatte in unseren Ländern führt. Und wenn alle Regierungen nach dem Prinzip der Kompetenz besetzt würden?

Es ist klar, dass die riesigen und heute noch nicht einmal überschaubaren gesellschaftlichen Veränderungen der Technologischen Revolution auch Auswirkungen auf die Organisation des politischen Lebens haben müssen. Im Zeitalter des überall und jederzeit auf Klick verfügbaren Wissens brauchen wir keine ideologischen Generalisten in den Regierungen, sondern, wie gerade in Österreich, Expertinnen und Experten.

Erleben wir gerade eine Phase, in der die repräsentative Demokratie, wie wir sie seit dem II. Weltkrieg in verschiedenen Varianten in ganz Europa kennen, eine Modernisierung erlebt? Dass sich die Wählerinnen und Wähler nicht mehr für das politische Armdrücken älterer Herren von „links“ und von „rechts“ interessieren, das kann man an den Wahlergebnissen ablesen. Die Menschen wollen keine Slogans brüllenden Bierzelt-Ideologen mehr an der Spitze der Regierungen sehen, sondern – Experten.

Vielleicht sollte die aktuelle Regierungskrise in Österreich alle zum Nachdenken bringen, wie wir künftig unsere Länder regieren lassen wollen. Wenn in schwierigen Zeiten die Länder nichtmehr von knorrigen Ideologen, sondern von Experten gemanagt werden, dann wäre das ja gar nicht so schlecht. Und eigentlich wäre das der richtige Zeitpunkt, sich in den Parteizentralen darüber Gedanken zu machen, wie man sich so neu aufstellen kann, dass nicht mehr die Champions der Seilschaften, sondern die besten Köpfe und eben Experten in verantwortungsvolle Positionen kommen. Zeigen uns die Österreicher gerade ein wenig unfreiwillig den Weg zu einer „Demokratie 2.0“ auf?

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