Fast die Hälfte der Deutschen…

… nämlich 46 %, lehnen alle drei Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl ab. Das allerdings hält die Parteien nicht davon ab, eisern an ihrer einmal getroffenen Wahl festzuhalten.

Der haushohe Favorit für die Nachfolge von Angela Merkel ist Markus Söder. Doch der ist nicht einmal Kandidat... Foto: Michael Lucan / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0de

(KL) – Angesichts der vielen Katastrophen, mit denen man sich momentan auseinandersetzen muss, könnte man fast vergessen, dass in weniger als zwei Monaten eine wichtige Bundestagswahl stattfindet, bei der die Nachfolge von Angela Merkel entschieden werden muss. Doch keiner der Kandidaten der drei „großen“ Parteien CDU/CSU, Grüne und SPD erhält in den Umfragen mehr als 21 % Zustimmung. Und eine Umfrage des Instituts Forsa zeigt, dass 46 % der Befragten gleich alle Kandidaten ablehnen. Ob die Parteien nicht lieber ihre Personalentscheidungen noch einmal überdenken wollen? Der oder die Nachfolger(in) von Angela Merkel würde mit einer schweren Hypothek sein (oder ihr) Amt antreten, wenn drei Viertel der Bundesbürger ihn oder sie gar nicht an der Spitze der Bundesregierung sehen wollen.

Die „Hitparade“ der Kandidaten für die Nachfolge der Ewig-Kanzlerin liest sich ziemlich traurig. „Spitzenreiter“ ist momentan der SPD-Kandidat Olaf Scholz mit 21 % Zustimmung (seine Partei kommt in der Sonntagsfrage allerdings nur auf 16 %), gefolgt von Annalena Baerbock mit 16 % (die Grünen liegen als Partei bei 19 %) und dann kommt noch Armin Laschet mit 13 % (wobei die CDU/CSU momentan auf 26 % käme). Alleine diese Zahlen sollten die Parteien veranlassen, sich noch einmal Gedanken über ihre Spitzenkandidaten zu machen. Wenn 13 % Armin Laschet an der Spitze der Regierung sehen möchten, dann bedeutet das auch, dass 87 %, also fast 9 von 10 Deutschen ihn dort nicht sehen wollen. Wieviel Sinn macht es, einen Parteisoldaten gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung durchdrücken zu wollen?

Bei den Grünen sieht es nicht viel besser aus. Lieferten sie sich noch vor wenigen Wochen in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU/CSU, ist der direkte Wettbewerber nun plötzlich wieder die SPD, allerdings nur noch im Kampf um den zweiten Platz hinter der CDU/CSU. Die Kandidatin Baerbock wurde in den letzten Wochen systematisch demontiert und fand auch das Momentum nicht mehr, mit dem sie den Wahlkampf gestartet hatte. Der Trend für sie persönlich und auch für die Grünen als Partei zeigt deutlich nach unten.

Einzig die SPD steht momentan (für ihre Verhältnisse) gar nicht so schlecht da. Waren ihre politischen Wettbewerber zuletzt noch die AfD, die FDP und Die Linke, so wittern die Sozialdemokraten wieder Morgenluft und machen sich Hoffnungen, eventuell doch als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorzugehen. Dass Olaf Scholz inzwischen der am wenigsten unbeliebte der Kandidaten ist, vom „Beliebtesten“ zu sprechen, wäre ein Unding, das liegt vor allem daran, dass man seit geraumer Zeit nichts von ihm hört. Wer nichts sagt, der sagt auch keinen Unsinn und dazu hatte er das Glück, dass die jüngsten Umweltkatastrophen das Bundesland von Armin Laschet trafen und dieser nicht gerade eine Bella Figura abgab. Nur, irgendwann wird auch Scholz sich mal wieder äußern müssen und spätestens dann werden auch seine Umfragewerte wieder auf die Ebene von Laschet und Baerbock sinken.

Der wahre Spitzenreiter in den Umfragen ist ein Bayer – Markus Söder würde nicht nur bei den Anhängern der CDU/CSU punkten, sondern sogar bei Wählern anderer Parteien. Doch die Entscheidung für die Kandidatur Laschets fiel im Parteipräsidium, dem Hort der Seilschaften, in denen es um anderes geht als um Kompetenzen.

Das Problem farbloser und schwacher Kandidaten ist kein „deutsches“ Problem, sondern ein generelles. Die Parteiapparate in praktisch allen Ländern interessiert herzlich wenig, was die Bevölkerung will, stattdessen werden Posten, Kandidaturen und Perspektiven ausgeklüngelt. Das dies einerseits zu absoluter Politikverdrossenheit und andererseits zu einem echten Legitimitäts-Problem führt, ignorieren die Parteien tapfer.

Die politischen Parteien, in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, müssen sich dringend neu erfinden und endlich im 21. Jahrhundert ankommen. Die Apparate sind verkrustet und korrupt und haben sich sehr, sehr weit von der Bevölkerung entfernt. Doch selbst jahrelange Pleiten bei Wahlen, Abstürze in den Umfragen und ein Heer von politikverdrossenen Nichtwählern können die Parteien dazu bewegen, endlich mit ihrem hilflosen „weiter so!“ aufzuhören. Das wird dann wohl so lange weitergehen, bis die traditionellen Parteien endgültig implodiert sind und sich neue Formationen positioniert haben. Aber wer weiß, vielleicht entscheidet sich ja doch noch die eine oder andere Partei, ihren Kandidaten auszutauschen. Angesichts der massiven Ablehnung der momentan präsentierten Spitzenkräfte wäre das kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Signal, dass man die Rückmeldung aus der Bevölkerung aufgenommen hat. Doch das wird nicht passieren – die Parteien werden solange zum Brunnen gehen, bis sie brechen. Oder bis die Wählerinnen und Wähler das tun…

1 Kommentar zu Fast die Hälfte der Deutschen…

  1. Сергей // 12. August 2021 um 15:01 // Antworten

    Hochster Wert seit Jahrzehnten: Fast die Halfte der Deutschen sieht Meinungsfreiheit in Gefahr – Politik – Tagesspiegel „Das wird man ja wohl noch sagen durfen!“ Viele Burger empfinden das anders, wie eine Allensbach-Umfrage zeigt.

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