Feiern wir lieber und stecken wir den Kopf in den Sand…

Die Situation rund um das größte AKW Europas in Zaporijja wird täglich angespannter. Aber das will niemand hören – stattdessen feiern wir lieber das Europafest...

So setzen sich Europas Politiker mit der Lage in Zaporijja auseinander... Foto: Bournemouth Events from United Kingdom / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Es lohnt sich, die Berichte des Chefs der Internationalen Atombehörde IAEA Rafael Mariano Grassi zur Situation rund um das größte AKW Europas in Zaporijja zu lesen, denn diese Berichte klingen ganz anders als die Jubelpropaganda aus Ost und West, deren Ankündigungen unmittelbar bevorstehender Siege schon seit mehr als einem halben Jahr kaum noch jemand glaubt. Rund um dieses gigantische AKW werden die von den Russen besetzten Ortschaften evakuiert, es wird bombardiert und Rafael Mariano Grassi warnt nun noch vor einem weiteren Problem: Durch die extreme Belastung steigt die Gefahr menschlicher Fehler beim ukrainischen Betreiberpersonal, die ungeahnte Folgen haben können. Und wir feiern fröhlich das Europafest. Haben wir uns im Westen eigentlich von der eigenen Sorglos-Propaganda ebenso einlullen lassen wie die Menschen in Russland durch deren Propaganda?

Die Lage in Zaporijja kann kriegsentscheidend werden und es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und sich auf die Propaganda-Aussagen über Gegenoffensiven, über den schon bald gewonnen Krieg und die vermeintliche ukrainische Überlegenheit in Zaporijja zu verlassen. Die Evakuierungen in Zaporijja werden als „ängstliches Weglaufen“ der Russen verkauft, doch in einer Kriegslage, in der Russland seit Monaten wichtige Infrastrukturen in der Ukraine angreift, ist das Ziel des AKW Zaporijja, das rund 20 % der Ukraine mit Strom versorgt, alles andere als unrealistisch.

Auch die ständig wiederholten Spekulationen, dass den Russen die Munition ausgeht, dass die Wagner-Truppe schon so gut wie weg ist, dass die Ukraine nun die Krim angreifen kann – all das ist ebenso erlogen wie das Narrativ der Russen, dass es sich in der Ukraine um eine „militärische Spezialoperation“ handelt. Die Wagner-Truppe ist immer noch da, in den letzten 48 Stunden haben die Russen mehr Geschosse auf die Ukraine abgefeuert als je zuvor (was für eine Armee, die angeblich keine Munition mehr hat, auch ein wenig seltsam ist) und auch der schon krank- und schwachgeredete Putin hält die Zügel weiter in der Hand.

Europa, das wir in diesem Monat ausgiebig feiern, ist im Ukraine-Krieg inexistent, außer, dass Europa Geld und Waffen bereitstellt und ukrainische Soldaten ausbildet und damit auch das Märchen, wir seien keine aktive Kriegspartei, ad absurdum führt. Erstaunlich ist, dass Europa weiterhin auf eine eigene Strategie zu diesem Krieg verzichtet, dafür aber lieber dem „großen Bruder“ USA hinterherdackelt, dem Europa offenbar das Denken und die Handlungshoheit überlässt. Von allen Kriegsparteien ist Europa die schwächste, die am wenigsten trainierte und ausgerüstete. Warum wir aber blind den USA hinterherlaufen, die ganz eigene Interessen verfolgen und in der Ukraine den Krieg um die künftige Vorherrschaft in der Welt kämpfen lassen, ist schleierhaft.

Europa ist in diesem Krieg, ebenso wie in den letzten Weltkrisen wie der Pandemie, eine ganz traurige Veranstaltung, geprägt durch Korruption und Inkompetenz und wir werden uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass Europa auf der politischen Weltkarte künftig kaum noch eine Rolle spielt.

Die Welt wird künftig von Peking und Moskau aus gemanagt werden und inzwischen leistet man es sich in diesen Hauptstädten, westliche Politiker offen zu desavouieren. Nach den Auftritten von Annalena Baerbock und Emmanuel Macron, die in China das ganze intellektuelle Desaster Europas präsentiert haben, leistet man sich in Peking inzwischen den diplomatischen Luxus, angekündigte Besucher wie den deutschen Finanzminister Lindner einfach wieder auszuladen. Ohne nach einem Ersatztermin zu suchen. In Peking hat man Besseres zu tun, als sich das weltfremde Gerede europäischer Politiker aus der 2. Liga anzuhören. Nur wahrhaben möchte man das alles in Europa nicht. Da feiert man sich lieber selbst und im Grunde ist das ja auch gar nicht falsch – denn wer weiß, wie lange man in Europa noch feiern kann…

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