Fleißige Deutsche? Faule Europäer?

Es ist an der Zeit, mit einem Vorurteil aufzuräumen. Deutsche sind schon lange nicht mehr die Fleißigsten in Europa. Was die Arbeitszeit angeht, liegt Deutschland gerade mal im Mittelfeld…

Die Champions der Arbeitszeit? Sicher nicht die Deutschen... Foto: Simon Giraudot / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0FR

(KL) – Irgendwie waren die Deutschen immer stolz auf ihren Ruf, ein Volk von arbeitssamen, fleißigen und leistungsbereiten Helden der Arbeit zu sein. Doch die Zahlen des französischen Arbeitsministeriums sprechen eine andere Sprache. Deutsche sind nicht mehr und nicht weniger fleißig als andere. Und wieder einmal merkt man, dass Verallgemeinerungen selten zutreffen…

Deutsche arbeiten im Durchschnitt 34,8 Stunden pro Woche. Das ist zwar mehr als die Holländer (29,8 Stunden pro Woche), aber weniger als die Franzosen (36,3 Stunden) und noch weniger als die Spanier (36,6 Stunden) und die Briten (36,8 Stunden). Damit sind die Briten europaweit das „fleißigste“ Volk, und das ist vielleicht auch ganz gut so, denn nach dem Brexit, falls dieser je kommt, werden sich die Briten vor allem an eines gewöhnen müssen – mehr Arbeit bei weniger Lohn. Schön, dass sie schon mit dem Training angefangen haben.

Und was ist bitteschön mit uns Deutschen los? Sind wir faul oder vernünftig geworden? 34,8 Wochenstunden? Und was machen wir mit dem Rest der Zeit? Sind wir auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft? Haben wir die Tugenden vergessen, die das Wirtschaftswunder ausgemacht haben?

Nein, die Deutschen sind eben – ganz normale Europäer. Es mag zwar stimmen, dass Deutsche mit dem Begriff „Arbeit“ mehr verbinden als andere Völker. Aber das ist letztlich nicht ausschlaggebend. Wenn wir Deutsche das Wort „Arbeit“ hören, dann denken wir an „Qualität“, „Sicherheit“, „Zuverlässigkeit“, „Pflicht“, „Dienst“. Bei der Arbeit hört der Spaß auf, sagt man. In anderen Kulturen verbindet man mit dem gleichen Begriff andere Dinge – „Lebensunterhalt sichern“, „acht Stunden rumbringen“, aber das bedeutet nicht, dass man anderswo nicht ebenso stolz auf eine gut gemachte Arbeit ist. Die Zeiten, in denen Deutsche meinten, dem Rest der Welt ihre Arbeitsmentalität beibringen zu müssen, sind auf jeden Fall vorbei.

Die echten „Helden der Arbeit“ sind allerdings keine Europäer und auch nicht die Japaner. Die USA liegen weit vorne, was daran liegt, dass es in den USA nur einen Anspruch auf 9 Urlaubstage im Jahr gibt, während die Europäer ihren Arbeitnehmern zwischen 20 und 28 Urlaubstagen (plus Feiertage) gönnen.

Doch ist langes Arbeiten ein Zeichen für die richtige Einstellung? In vielen Ländern experimentiert man schon länger mit neuen Arbeitszeitmodellen, wie beispielsweise die 4-Tage-Woche oder das „Job Sharing“ und überall dort, wo solche Experimente durchgeführt werden, stellt man fest, dass Menschen, die weniger arbeiten, in der effektiven Arbeitszeit deutlich effizienter arbeiten als ihre „5 Tage 8 Stunden“-Kollegen. Es ist an der Zeit, Themen wie die Arbeitslosigkeit und die Produktivität auch unter diesem Gesichtspunkt neu zu bewerten. Die Antwort liegt nicht im stereotypen Rennen nach mehr Wachstum und einer damit verbundenen Erhöhung der Arbeitszeit (wie es die französische Regierung gerade in die Diskussion bringt), sondern in einer intelligenteren Organisation der Arbeit. Weniger kann dabei mehr sein und langsam, aber sicher, müssen wir uns von alten Gewissheiten verabschieden. Nicht derjenige arbeitet am besten, der am längsten arbeitet, sondern derjenige, der seine Arbeit optimal und effizient organisiert.

So oder so, wir Deutsche können jetzt endlich unsere arrogante Einstellung ablegen, wenn wir ins Ausland fahren. Dort müssen wir niemandem beibringen, dass man viel arbeiten muss. Das tun die Leute dort nämlich ohnehin. Mehr als wir Deutsche…

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