François Hollande nutzt das präsidentielle Begnadigungsrecht

Der französische Präsident begnadigt Jacqueline Sauvage, die ihren Mann getötet hatte. Mit dieser Begnadigung rückt Hollande das Verhältnis Opfer-Täter überraschend in die richtige Richtung.

Mit der Begnadigung von Jacqueline Sauvage hat François Hollande eine neue Debatte zum Thema "häusliche Gewalt" ausgelöst. Und Recht hat er. Foto: ActuaLitté / Wikimedia Commons / CC-SA 2.0

(KL) – Der Fall bewegte ganz Frankreich. 2012 hatte Jacqueline Sauvage ihren Mann in den Rücken geschossen, am Tag, nachdem ihr Sohn sich das Leben genommen hatte. Ihr Mann hatte sie während der gesamten Dauer ihrer Ehe 47 Jahre lang geschlagen, die drei Töchter vergewaltigt und der Familie das Leben buchstäblich zur Hölle gemacht. Eine der Töchter kommentierte den Tod des Vater als „Erleichterung“ und obwohl die Verteidigung während des Prozesses auf „Notwehr“ plädiert hatte, fehlte den Richtern das Moment des Unmittelbaren, um den Notwehrparagraphen gelten zu lassen und sie verurteilten Jacqueline Sauvage zu 10 Jahren Haft. Nun hat der französische Präsident François Hollande etwas getan, was französische Präsidenten nur äußerst selten und ungern tun – er kippte das Urteil der Justiz und begnadigte Jacqueline Sauvage.

400.000 Unterschriften und zahlreiche Prominente aus allen politischen Lagern, darunter der frühere grüne Politiker Daniel Cohn-Bendit, die Bürgermeisterin von Paris Anne Hidalgo, der linke Parteiführer Jean-Luc Mélenchon, die frühere konservative Verkehrsministerin Nathalie Kosciusko-Morizet oder der Chef der Zentristen Jean-Christophe Lagarde, alle hatten den französischen Präsidenten aufgefordert, sein Recht auf Begnadigung zu ziehen und nachdem François Hollande vor wenigen Tagen die drei Töchter der inhaftierten 68jährigen empfangen hatte, sprach er am Sonntagabend die Begnadigung aus. Und setzte damit einen gesellschaftlichen Prozess in Gang, der Frankreich noch lange beschäftigen wird. Wie soll man häusliche Gewalt beurteilen, wie wird sie justiziabel, wie weit rechtfertigt diese Gewalt auch die daraus resultierende Gegengewalt? Mit diesen Fragen wird sich Frankreich beschäftigen müssen, auch wenn sich heute alle einig sind, dass Jacqueline Sauvage Opfer und nicht Täter war, genau wie die Kinder der beiden eindeutig Opfer sind. Dass der Täter zum Opfer einer tödlichen Gewalttat wurde, bewertet François Hollande, anders als die Richter, als Notwehr und darf sich hierbei der Mehrheit der Franzosen an seiner Seite gewiss sein.

Denn die Gesetzestexte weisen eine Lücke für Fälle wie den der Sauvages auf – denn man muss leider davon ausgehen, dass der Tyrann der Familie Sauvage kein Einzelfall war. Wie viele Männer schlagen ihre Frauen und Kinder, wie viele von diesen vergreifen sich regelmäßig an ihren Familienmitgliedern? Dass hier die Verteilung der Rollen zwischen Opfer und Täter klar sind, das versteht jeder, aber so steht es nicht im Gesetz. So ist denn auch die Begnadigung von Jacqueline Sauvage nicht als „Freifahrschein“ zu werten, gewalttätige Ehemänner ab sofort umbringen zu dürfen.

Nun ist der Gesetzgeber gefragt, neue Regelungen zu treffen, denn es wäre sicher falsch gewesen, Jacqueline Sauvage 10 Jahre ins Gefängnis zu schicken, nach 47 Jahren Drama und dem Verlust des Sohns, der auf die Tragödien in der Familie zurückzuführen ist. Das Verständnis für den verzweifelten Akt von Jacqueline Sauvage lässt die Begnadigung als absolut richtig erscheinen – dennoch wird man darüber nachdenken müssen, wie man Familien besser gegen gewalttätige Tyrannen schützt. Offenbar fehlen immer noch Optionen und Stellen, an die sich Menschen in einer solch verzweifelten Lage wenden können.

Für die Begnadigung darf sich François Hollande des Beifalls sicher sein – doch die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu dem Thema fängt nun erst richtig an. Und das ist dringend notwendig.

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