Frankreich bereitet sich (wieder mal) auf eine Streikwelle vor

Die französische Rentenreform rückt immer näher, jetzt, wo die Einzelheiten bekannt sind. Doch was ebenfalls näherrückt, ist eine riesige Streikwelle. Los geht’s am 19. Januar.

"Besser ein Streik als eine jämmerliche Rente", steht auf dem Plakat... Foto: Jeanne Menjoulet from Paris, France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Frankreich steht vor einer harten Streikphase, die wohl kaum noch zu umgehen sein wird. Nach den pharaonischen Ausgaben für Pandemie, Inflationsausgleich und Ukraine-Krieg sind die Kassen leer und die französische Regierung sieht keine andere Möglichkeit mehr, als die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Damit steht Frankreich nicht alleine da, in vielen anderen Ländern ist das Renteneinstiegsalter bereits deutlich höher als in Frankreich. Doch der Abbau sozialer Errungenschaften wird in Frankreich nicht einfach so durchgehen. Die Gewerkschaften gehen auf die Barrikaden und kündigen einen langen und harten Arbeitskampf an. Und der startet am 19. Januar, kurz bevor das Projekt dieser Rentenreform, die unter anderem den Anstieg des Renteneinstiegsalters auf 64 Jahre vorsieht, im Parlament vorgestellt wird. Eine Formsache, mit der ein wenig sso getan wird, als handele es sich um eine demokratische Entscheidung, doch ist klar, dass dieses Projekt auch bei fehlender Mehrheit im Parlament durchgeboxt werden wird, mit Hilfe des traurig berühmten § 49.3.

In den nächsten Wochen und vielleicht sogar Monaten wird donnerstags in Frankreich nicht viel gehen – denn dann ist Streiktag. Dass dieser Streik massive Folgen haben wird, ist klar, denn ausnahmsweise stehen die Gewerkschaften in dieser Frage solidarisch zusammen, sowohl „linke“ als auch „rechte“ Gewerkschaften. So beteiligen sich CGT, Force Ouvrière, CFDT, Unsa, Solidaires, FSU und die CFE-CGC an diesen Streiks, der die Brüche durch die französische Gesellschaft weiter vertiefen wird. Da nützt es nicht viel, dass diese Reform so kompliziert ausgestaltet ist, dass kaum jemand die vielen Sonderregelungen und geplanten Ausnahmen für bestimmte Berufszweige versteht – was bei den Franzosen hängenbleibt, ist dass sie künftig länger arbeiten müssen, während gleichzeitig Sozialleistungen gekürzt werden. Und das ist eine Pille, die in Frankreich nur schwer zu schlucken sein wird.

Zwar versucht die Regierung, diese Reform dadurch etwas schmackhafter zu machen, dass die Bezüge der Rentner angehoben werden sollen, auf 85 % des Mindestlohns „SMIC“, doch das ändert nichts am bevorstehenden Streik. Auch, dass mehrere Berufszweige mit Ausnahmen befriedet werden sollen, vor allem dort, wo die Regierung ihre treueste Wählerschaft vermutet, ändert nichts – die Gewerkschaften sind bereit, einen richtig harten Arbeitskampf zu führen.

Ein anachronistisches Politiksystem - Einmal mehr wird Frankreich den Preis für sein völlig veraltetes Präsidialsystem der V. Republik bezahlen, das eine politische Kultur begründet hat, in dem die politische Debatte keinen Platz hat und in dem der Präsident das Land quasi im Alleingang regiert. Kein Wunder, dass die Bevölkerung immer häufiger das Gefühl hat, dass „die da oben“ ohnehin tun und lassen, was ihnen passt und dabei oft gegen die Interessen der Bevölkerung, dafür aber für ihre persönlichen Interessen handeln. Das Fehlen einer politischen Debatte ist für eine Demokratie Gift, doch so lange die „oberen Zehntausend“ derart von ihren Privilegien profitieren, ist klar, dass sie nichts an diesem anachronistischen System verändern werden. Und das wiederum wird einmal mehr zu einer Streikwelle führen, die das Potential hat, das ganze Land zu paralysieren.

Die Zeiten sind hart, unruhig und unsicher. Das empfinden die Menschen in vielen Ländern so. Dabei nervt die Bevölkerung besonders, dass diejenigen, die ohne echte Konzertation ihr Land in genau diese schwierigen Zeiten geführt haben, sei es aufgrund von persönlichen Interessen, sei es aus Inkompetenz, auch diejenigen sind, die unter allen momentan dekretierten Einschränkungen selbst nicht im geringsten zu leiden haben, sondern weiter den Saus und Braus des Machtapparats genießen und sich folglich so lange am Status quo festklammern werden, bis es knallt. Doch das könnte demnächst dann auch der Fall sein.

Seit dem Aufruf der Gewerkschaften zu den kommenden Mega-Streiks, überschlagen sich die Politiker mit vorauseilenden Beschimpfungen der Streikenden von morgen, denen sie vorwerfen, das Land veraantwortungslos noch tiefer in die Krise zu drücken. Diese Art der Kommunikation ist aus der Sicht der Politik nachvollziehbar, verwechselt allerdings die Rollen, denn diejenigen, die für diese Entwicklung verantwortlich sind, sind nicht etwa diejenigen, die dagegen protestieren, sondern diejenigen, die sie mit unglaublicher politischer Inkompetenz überhaupt erst herbeigeführt haben. Der Vorwurf, die Gewerkschaften würden verantwortungslos handeln, kann von den Angesprochenen sehr leicht umgedreht werden und genau das passiert gerade.

Und kaum noch jemand redet über Inhalte… - Was dabei völlig unter den Tisch fällt, ist eine echte Diskussion über den Inhalt und die Notwendigkeit dieser Rentenreform. Und auch eine Diskussion über die politische Gestaltung einer modernen Gesellschaft. Die V. Republik mit ihren absolutistischen Zügen hat schon lange ausgedient, doch diejenigen, die von diesem System seit langer Zeit so sehr profitieren, wollen das nicht wahrhaben. Doch die Weigerung, eine wirklich demokratische Politik zu führen und die Bevölkerung an der Politik teilhaben zu lassen, treibt die Menschen auf die Straße und wie immer wird die Regierung versuchen, solche Proteste gewaltsam zu unterdrücken, so, wie man es auch in denjenigen Ländern tut, denen wir immer wieder Lektionen zum Thema „Demokratie“ erteilen wollen.

Ob diese Reform nun sinnvoll oder gar notwenig ist, steht schon gar nicht mehr zur Debatte. Stattdessen entsteht das Gefühl in der Bevölkerung, dass man sich vor dieser Regierung schützen muss. Offenbar hat der französische Pomp-and-Circumstances-Machtapparat noch nicht so richtig verinnerlicht, dass wir das Jahr 2023 schreiben. Und dass es nicht reicht, von Demokratie zu reden, wenn man in der Praxis eine Art technokratischer Autokratie betreibt.

Nur eines ist heute klar – die Donnerstage werden bis in den Februar hinein das ganze Land lähmen und die ohnehin stark angespannte Situation weiter eskalieren lassen. Doch auf die Idee, vor einer eventuellen Rentenreform erst einmal ein völlig verstaubtes Politiksystem zu reformieren, kommt in Paris niemand. Klar, man könnte ja vielleicht das eine oder andere Machtprivileg verlieren. Nun laufen wir also in einen Kampf der Regierung gegen die Bevölkerung, doch sollte man sich in Paris darüber im Klaren sein, dass es viele historische Beispiele gibt, in denen das Armdrücken mit dem eigenen Volk ganz schlecht für die Machthaber ausgegangen ist. Aber vermutlich müssen wir alles das noch einmal erleben…

2 Kommentare zu Frankreich bereitet sich (wieder mal) auf eine Streikwelle vor

  1. Es ist nicht ganz verständlich, warum das mit dieser Härte geführt wird. Fast alle europäischen Länder haben ein höheres Eintrittsalter. Siehe https://www.vdk.de/deutschland/pages/themen/83248/uebersicht_gesetzliches_renteneintrittsalter_in_den_laendern_der_eu

    Eine mögliche Alternative wäre ein angebrachtes Mindesteintrittsalter für Berufe wie Bau, Bergbau oder sonstige stark körperlich anstrengende Berufe einzuführen, weil hier 65 oder 67 praktisch nicht erreicht wird. Alle anderen Berufe könnte man höher ansetzen und danach freigeben – solange der Betroffene eben will und kann.

    Das käme allen zugute. Den Betroffenen und dem Arbeitsmarkt. Aber pragmatisch wird nicht gedacht.

    Was die Franzosen angeht verstehe ich nicht, weshalb keine produktive Debatte zu sehen ist. Hauptsache Greve, reflexartig, langweilig, selbstzerstörend.

    • Ich sehe das wie Sie. Ich denke, das Problem in Frankreich ist der fehlende Dialog zwischen den Sozialpartnern, die sich eben nicht als Partner, sondern als Gegner sehen. Eine echte inhaltliche Debatte zu dieser Rentenreform findet praktisch nicht statt, sondern es wird heeruntergekürzt auf “die wollen uns soziale Errungenschaften wegnehmen”. Einmal mehr – es wird Zeit, dass sich Frankreich von seinem Neofeudalismus verabschiedet und endlich die VI. Republik als echte Demokratie startet.

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