Frankreich, das Land der Nichtwähler

Auch der zweite Wahlgang der wichtigen Regional- und Departementswahlen war durch eine erdrückende Mehrheit der Nichtwähler charakterisiert. Wie soll das jetzt weitergehen?

Prall gefüllt sieht anders aus - auch den zweiten Wahlgang dominierten gestern die Nichtwähler. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Nach dem traurigen Rekord der Nichtwähler beim ersten Wahlgang dieser Wahlen, die ungefähr den Stellenwert einer landeweit kombinierten Landtagswahl hatten, kam es auch im zweiten Wahlgang am gestrigen Sonntag nicht zum „sursaut républicain“, zu einer Art Trotzreaktion, die sich viele erhofft hatten. Die Wahlbeteiligung lag gestern nur unwesentlich höher als im ersten Wahlgang und bestätigte das, was viele Beobachter bereits nach dem ersten Wahlgang festgestellt hatten: Das Tischtuch zwischen der französischen Politik und der Bevölkerung ist zerschnitten. Und das ein Jahr vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich.

Dieses Mal lag die Wahlbeteiligung bei rund 35 % und damit wird deutlich, dass die Franzosen das Vertrauen in die Politik mehrheitlich verloren haben. Die vollmundigen Erklärungen, mit denen die Vertreter der Parteien nach dem ersten Wahlgang noch die geringe Wahlbeteiligung analysiert (zu gutes oder zu schlechtes Wetter, Vatertag, Angst vor Covid-Ansteckung etc.) und dabei gleich das Heer der Nichtwähler für sich in Anspruch genommen hatten, ziehen heute nicht mehr. Die erschreckend geringe Wahlbeteiligung ist eine zweite Ohrfeige für die französische Politik, was besonders schwerwiegend für die Regierung ist, hatte doch Präsident Macron das halbe Kabinett in die verschiedenen Regionen geschickt, um dort die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Doch die Kastanien blieben im Feuer und damit ist diese Wahl eine klare Ansage an die Pariser Zentralregierung – wir wollen euch nicht mehr!

Die französische Regierung hängt in den Seilen und man kann argumentieren, wie man will, die V. Republik ist am Ende. Nach Jahrzehnten eines sterilen Links-Rechts-Wechsels war 2017 Emmanuel Macron mit seiner Bewegung „La République en Marche“, die nicht Partei genannt werden will, obwohl sie eine ist, mit dem Versprechen einer „neuen politischen Welt“ angetreten und ist mit seinem Versuch, Frankreich eine Art „digitalen Totalitarismus“ aufzudrücken, klar gescheitert.

Mit dieser Wahl hat sich Frankreich in eine institutionelle Krise manövriert, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Wenn rund 2 von 3 Wählern nicht mehr wählen gehen, dann ist dies der Beweis, dass sie keinerlei Vertrauen mehr in die Institutionen haben und dies wiederum zwingt die Parteien, sich sofort und nachhaltig neu aufzustellen. Wer jetzt noch die Schuld beim Wetter oder beim Virus sucht, der wird schneller von der politischen Bildfläche verschwinden, als man denkt.

Nur – wie reformfähig sind die völlig verkrusteten und korrupten Parteiapparate in Frankreich? Diese werden von Seilschaften beherrscht, die seit Jahrzehnten von den gleichen Personen gemanagt werden, deren Glaubwürdigkeit inzwischen gegen Null geht.

Frankreich hat keine andere Wahl, als sowohl seine Parteien, als auch das völlig anachronistische Wahlsystem zu reformieren und das kann nur erfolgreich verlaufen, wenn der Zentralstaat ein gutes Stück der „Pariser Macht“ an die Regionen abgibt. Doch das klingt fast wie ein frommer Wunsch, denn diejenigen, die in Paris das Sagen haben, kleben an ihren Posten wie Fliegen auf Honig.

In der morgigen Ausgabe werden wir die Ergebnisse beider Wahlen, sowohl auf regionaler als auf Departements-Ebene analysieren und ebenfalls untersuchen, welche Auswirkungen die Wahlbeteiligung und die Ergebnisse auch auf die nationale Politik vor dem Superwahljahr 2022 haben.

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