Frankreich – die sozialen Spannungen verschärfen sich

Erneut demonstrierten gestern Hunderttausende, vielleicht wieder mehr als 1 Million Menschen gegen die geplante Rentenreform und gegen eine immer mehr verhasste Regierung.

So sehen viele Franzosen den ehemaligen Rothschild-Bänker Emmanuel Macron - als "Präsidenten der Reichen". Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Während sich in Paris der Senat, die Nationalversammlung und die Regierung eine Farce eines demokratischen Vorgangs beim Durchboxen der Rentenreform liefern, während Regierungspartei und Opposition zeigen, was Demokratie eigentlich nicht sein sollte, demonstrieren und streiken die Franzosen weiter. Dabei richten sich die Proteste immer mehr gegen Präsident Macron und dessen Regierung. Gegen die Rentenreform wird man zwar nicht mehr viel ausrichten können, denn die Regierung verfügt über Verfassungs-Paragraphen, mit denen die gesetzgebenden Kammern schlicht und einfach ausgebootet werden können. Angesichts dieser Möglichkeiten ist es im Grunde sogar egal, wie sich heute in den abschließenden Abstimmungen Senat und Nationalversammlung entscheiden, denn sollte Macrons Gesetzesvorhaben keine Mehrheit in der Nationalversammlung erhalten, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dann wird das Gesetz eben ohne die Zustimmung des Parlaments in Kraft gesetzt, der Paragraph 49.3 macht’s möglich.

Doch die Proteste, die nunmehr seit zwei Monaten zweimal pro Woche Frankreich in eine Art Ausnahmezustand versetzen, ebben nicht ab. Zwar brechen die Teilnehmerzahlen nicht jedes Mal die Rekorde, doch kommt es darauf gar nicht mehr an. Dass Präfekturen und Polizei versuchen, die Teilnehmerzahlen kleinzurechnen, um den Eindruck zu erwecken, dass dieser sozialen Protestbewegung die Puste ausgeht, ist fast lächerlich. So vermeldeten gestern die Gewerkschaften in Marseille, dass 160.000 Menschen demonstrierten, während die Polizei nur 7.000 Demonstranten zählte… Honni soit qui mal y pense…

Doch werden diese Proteste nicht mehr abreißen und der Schaden, den Macrons Regierung anrichtet, ist enorm. Hatten die Franzosen bereits vorher nur noch wenig Vertrauen in ihren Präsidenten und die französische Politik, so ist auch dieses wenige Vertrauen jetzt vollständig aufgebraucht. Die Franzosen fühlen sich von der Pariser Machtkaste verachtet, nicht ernstgenommen und verraten – und dieses Gefühl ist auch ziemlich zutreffend.

Macron und seine wechselnden Regierungsteams, die eines nach dem anderen scheitern, werden es bis zu den nächsten Wahlen 2027 schwer haben, sehr schwer sogar. Denn die Franzosen werden sich in den nächsten Jahren gegen alles stemmen, was diese Regierung auf den Weg bringen will, davon ausgehend, dass Macron ohnehin „nur Politik für Reiche“ macht.

Die unsägliche Arroganz, mit der Macron den Gewerkschaften den Dialog verweigerte, wird noch Jahre in der französischen Politik nachhallen. Mit dieser so offensichtlichen Geringschätzung seiner Landsleute beendet Macron auch die politische Episode seiner Machtpartei „La République en Marche“ aka „Renaissance“. Die Abgeordneten seiner Partei sollten sich möglichst jetzt schon neue Jobs für die Zeit nach 2027 suchen, denn außer einer Handvoll unverbesserlicher Jünger glaubt niemand mehr an diesen Präsidenten und seine Partei.

Sehr wahrscheinlich wird bereits diese Woche die Rentenreform als „angenommen“ verkündet werden, danach werden sich der Verfassungsrat und andere Organe damit beschäftigen müssen. Doch die Proteste werden weitergehen und sie werden sich verschärfen. Dass dabei weniger Demonstranten zu immer härter werden Auseinandersetzungen kommen werden, ist keine gute Nachricht für den Präsidenten. Denn wenn es so weit kommt, wird er jeden Kredit in der Bevölkerung verspielt haben und die zu erwartende Eskalation geht einzig auf seine Kappe. Die Quittung dafür werden die Macronisten bei den nächsten Wahlterminen erhalten. Bis dahin wird Frankreich kaum zur Ruhe kommen.

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