Frankreich hat das CETA ratifiziert – und Deutschland?

Trotz massiver Proteste hat das französische Parlament das EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA ratifiziert. Europa zeigt sich wieder mal von der chaotischen Seite…

Was in aller Welt kann unsere Politiker veranlassen, FÜR das CETA zu stimmen? Aber - sie tun es... Foto: M0tty / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – So, Frankreich hat trotz massiver Proteste das Freihandelsabkommen mit Kanada CETA ratifiziert. Warum man ein solches Freihandelsabkommen abschließt, ist vermutlich nicht einmal den Abgeordneten klar, die dafür gestimmt haben. Denn mit diesem Abkommen, das bereits in Teilen in Kraft getreten ist, ist lediglich das Handelsvolumen zwischen Kanada und der EU um 8 % gestiegen. Angesichts des Umstands, dass der Handel zwischen der EU und dem 30 Millionen Einwohner zählenden Kanada nicht überragend hoch ist, muss man sich die Frage stellen, warum man für ein geringes Handelsvolumen europäische Standards aushebeln und vor allem, ein Einfallstor für US-amerikanische Unternehmen öffnen muss. In Deutschland hat man die politische Entscheidung zum CETA wie so oft in letzter Konsequenz an das Bundesverfassungsgericht delegiert – wieder einmal treffen Richter eine Entscheidung, die eigentlich von der Politik getroffen werden müsste.

Viel ist über das CETA geschrieben worden, beispielsweise über die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit, bei der unter Ausschluss des Rechtswegs private Schlichter darüber urteilen, ob Unternehmen aufgrund der Wirtschaftspolitik eines Landes Schadensersatz zugesprochen bekommen. Das klingt erstmal unspektakulär, doch sollte man sich einmal in Kolumbien erkundigen, wie sich so etwas in der Praxis auswirkt.

Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Kolumbien sieht eine vergleichbare Regelung vor, nach der Unternehmen Staaten wegen politischer Entscheidungen vor den Schlichter holen können, die ihre Möglichkeiten zum Geldverdienen einschränkt. Im konkreten Fall ging es um ein US-Bergbauunternehmen, das eine Probebohrung im kolumbianischen Regenwald durchgeführt hatte und dort eine vermutete Goldmine ausbeuten wollte. Aufgrund der Lage dieser Goldmine mitten im Regenwald verbot die kolumbianische Regierung dieses Projekt aus Gründen des Umweltschutzes. Das Unternehmen rief die außergerichtliche Schlichtung an und bekam mehrere Milliarden Dollar wegen „entgangenen Gewinns“ zugesprochen – ohne die Möglichkeit, auf dem Rechtsweg gegen diesen Schlichterspruch vorzugehen.

Offenbar haben die französischen Abgeordneten, die für das CETA gestimmt haben, übersehen, dass sich Kanada noch in einem anderen Staatenbund befindet, dem NAFTA (North American Free Trade Agreement), der aus den USA, Kanada und Mexiko besteht. Im Rahmen des NAFTA-Abkommens verfügen die Unternehmen dieser Länder über eine fast uneingeschränkte Mobilität und können sich, sofern sie dort investieren, problemlos in jedem der beiden anderen Länder niederlassen. Das bedeutet, dass sich das CETA eben nicht nur auf Kanada und die EU bezieht, sondern dass über das Einfallstor CETA auch amerikanische und mexikanische Unternehmen durch die einfache Gründung eines Tochterunternehmens in Kanada von den gleichen Vorkehrungen des CETA profitieren wie „echte“ kanadische Unternehmen. Nachdem das TTIP zwischen den USA und der EU gescheitert war, kommen nun auch die US-Firmen über das „Hintertürchen“ CETA auf den europäischen Markt. Und wehe unseren Regierungen, sollten diese Entscheidungen treffen, bei denen amerikanische Firmen am Geldverdienen gehindert werden – dann setzt es Strafen, gegen die keine Rechtsmittel eingelegt werden können.

Und das alles für eine Steigerung des Handelsvolumens zwischen Kanada und der EU von 8 %? Zwar ist Kanada der zwölftgrößte Handelspartner der EU, doch muss man für eine solche Steigerung des Handelsvolumens gleich ganz Europa unter das Diktat der amerikanischen Handelspraktiken stellen, europäische Standards gefährden, die europäischen Märkte für Produkte öffnen, die unsere eigenen Produktionen gefährden und das Ganze auch noch außerhalb unserer europäischen Rechtssysteme stellen? Was in aller Welt hat die französischen Abgeordneten dazu bewogen, dieses für die EU nur nachteilige Abkommen zu ratifizieren? Die Sommerhitze?

In Deutschland ist das Thema CETA erst einmal in den Kanälen von Politik und Justiz versandet. Im Juni 2018 wurde ein Antrag der FDP auf Ratifizierung des CETA im Bundestag abgelehnt und die meisten Parteien haben massive Bedenken angemeldet. Verfassungsrechtler sind darüber hinaus der Ansicht, dass auch eine Annahme durch den Bundestag vom Bundesrat bestätigt werden müsste und alle sind sich einig, dass die endgültige Entscheidung über die deutsche Position erst durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen kann.

Solange sich die europäischen Regierungen noch Gedanken machen, ob sie das CETA annehmen wollen oder nicht, sind bereits einige Teile des Abkommens in Kraft getreten.

Und einmal mehr erkennt man die Demokratiedefizite in Europa. Ebenso, wie eine Handvoll vergreister Briten die Entscheidung über die Zukunft Großbritanniens treffen konnte, überlassen die Länder Europas die Entscheidung über ihre Zukunft einer Handvoll Abgeordneter, deren Sachkenntnis zu diesem Thema als eher gering einzuschätzen ist. Ob es wirklich im Interesse der 500 Millionen Europäerinnen und Europäer liegt, unsere über lange Jahre gewachsenen Wirtschaftsstrukturen dem nordamerikanischen Wildwest-Kapitalismus zu opfern, ist mehr als fraglich. Schade, dass die von Lobbys verseuchte Politik nicht auf die Idee gekommen ist, mal bei uns Bürgerinnen und Bürgern nachzufragen, was wir denn so vom CETA halten. Das demokratische Modell Europas bröckelt immer weiter ab…

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