Frankreich im Schockzustand

Nach dem entsetzlichen Mord an einem Lehrer in Conflans-Sainte-Honorine verneigte sich gestern ganz Frankreich vor dem jüngsten Opfer des islamistischen Terror-Wahnsinns.

"Fass' meinen Lehrer nicht an", steht auf dem Schild. Frankreich ist entsetzt. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Im ganzen Elsass und in ganz Frankreich versammelten sich gestern Nachmittag zehntausende Menschen, um sich ein letztes Mal vor dem ermordeten Lehrer Samuel Paty zu verneigen. Dieser war im Städtchen Conflans-Sainte-Honorine von einem 18jährigen Terroristen ermordet und enthauptet (!) worden. Hintergrund war, dass dieser Lehrer seinen Schülern das Konzept der Meinungs- und Pressefreiheit anhand der 2015 in der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ erschienenen Mohammed-Karikaturen erläutert hatte. Dieser terroristisch motivierte Mord, nach dem die Polizei den Täter erschossen hatte, stellt für die Franzosen einen Anschlag nicht nur auf eine Person, sondern auf die Republik selbst dar. Die besondere Grausamkeit dieses Mordes bringt dabei den Konflikt in eine ganz neue Dimension.

Dieser Terrorakt hat das Potential, die französische Gesellschaft noch weiter zu spalten, als dies ohnehin schon der Fall ist. Die Meinungs- und Pressefreiheit im laizistischen Frankreich geht bis auf die Französische Revolution zurück, als der Klerus seiner weltlichen Macht enthoben wurde, was 1905 in der gesetzlichen Trennung von Staat und Kirche mündete. Dazu erleben die Franzosen diesen Mord auch als einen Anschlag auf eine „unantastbare“ Institution der Republik, die Schule. Denn wenn ein Lehrer dafür enthauptet wird, dass er seinen Schülern das Konzept der Meinungs- und Pressefreiheit näher bringt, dann läuft wesentlich mehr schief, als man sich das eingestehen will.

Die Reaktionen auf diesen Mord verdeutlichten die Gräben, die durch die französische Gesellschaft laufen. Denn nur Stunden nach dem Mord beklagten sich verschiedene Kommentatoren, dass „nun wieder die Moslems stigmatisiert“ werden, wobei viele dieser Kommentatoren kein Wort des Bedauerns für das Opfer fanden. Seltsamerweise stimmten weitere Kommentatoren ein und erklärten, dass „Charlie Hebdo“ eben die Mohammed-Karikaturen kein zweites Mal hätten veröffentlichen und dass der Lehrer Samuel Paty diese Karikaturen nicht zur Erläuterung seines Kurses hätte verwenden dürfen. Diese Forderung ist nichts anderes als die Aufforderung an die französische Gesellschaft, sich den Werten einer moslemischen Gesellschaft zu unterwerfen. Nur, es kann nicht die Aufgabe einer modernen, westlichen Gesellschaft sein, sich die teilweise mittelalterlichen Wertvorstellungen der moslemischen Gemeinden zu eigen zu machen – unsere gesellschaftlichen Werte sind das Ergebnis eines jahrhundertelangen Kampfes, die wir gerade Stück für Stück aufgeben, wobei wir das tun, was in Städten wie Beirut oder Teheran seit den 60er Jahren geschehen ist. Waren diese Städte damals noch Horte der Freiheit waren, an denen sich Frauen in Miniröcken und ohne Verschleierung bewegen konnten, herrscht heute in diesen Städten finsterste Vorzeit, eine mittelalterliche Vorstellung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, eine starke Unterdrückung von Frauen und das Gesetz des Islams, die Charia. Dass diese Entwicklung in moslemischen Ländern stattgefunden hat, ist eine Sache. Unseren Gesellschaften eine solche Entwicklung aufzuzwingen, eine ganz andere.

Für viele Beobachter ist die Geschichte ohnehin längst vorbei, da der Täter erschossen wurde. Doch das ist reine Augenwischerei. Zum zweiten Ml innerhalb weniger Wochen begeht ein 18jähriger Terrorist einen brutalen Angriff auf Mitmenschen, vor dem Hintergrund dieser Karikaturen. Doch diese Täter sind eben nicht die Hauptverantwortlichen dieser Anschläge. Die wahren Verantwortlichen sitzen in den Moscheen und Gemeinden, es sind die Hassprediger, die junge Leute radikalisieren, manipulieren und zu Instrumenten ihres Krieges gegen den Westen machen. Hier ist auch der einzige Ansatzpunkt,  das Phänomen des Terrorismus in Europa zu bekämpfen. Es sind die moslemischen Gemeinden, die endlich das Gesetz der Omerta brechen, die Hassprediger isolieren und mit den Behörden zusammenarbeiten müssen. Der Terror kommt aus ihrer Mitte und es reicht nicht mehr aus, halbherzig solche Anschläge und Morde zu bedauern, gleichzeitig aber die Strukturen der Radikalisierung in den eigenen Reihen zu dulden.

99 % der in Europa lebenden Moslems sind friedliche und integrierte Mitmenschen. Wenn das stimmt, dann sollte es ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese riesige, friedliche Mehrheit die Hassprediger identifiziert und ins Abseits stellt. Diese sind in den Moscheen bekannt, doch sie werden nach wie vor im „sicheren Hinterland“ ihrer Gemeinden geschützt. Und hier sind unsere Gesellschaften absolut berechtigt, von den moslemischen Gemeinden eine Mitwirkung bei der Bekämpfung der Radikalisierung einzufordern. Dabei geht es nicht darum, die moslemische Bevölkerung zu stigmatisieren, sondern diejenigen zur Bekämpfung des Terrors zu verpflichten, die wissen, wer wann und wo die Radikalisierung der Jugend betreibt. Sollten sich diese Gemeinden weiterhin weigern, an einer gemeinsamen Bekämpfung des Terrors mitzuwirken, wäre auch das eine Aussage, die man dann entsprechend werten müsste.

Es reicht. Schon heute dürfen in Europa Frauen nicht mehr „oben ohne“ am Strand liegen, ohne von fundamentalistischen Sittenhütern angegriffen zu werden, in vielen Städten sind ganze Viertel zu rechtsfreien Zonen geworden, und nun wird von uns gefordert, wir mögen doch Meinungs- und Pressefreiheit abschaffen, um wahnsinnige Fanatiker „nicht zu provozieren“. Damit bereiten diejenigen den Rechtsextremen die nächsten Wahlsiege vor, die unter diesen am meisten zu leiden hätten. Um das zu vermeiden, sind nun tatsächlich die moslemischen Gemeinden gefordert, die als einzige in der Lage sind, den radikalen Hasspredigern das Handwerk zu legen. Wer sich aus falsch verstandener Solidarität mit diesen Kriminellen weigert, an der Befriedung der Gesellschaft mitzuwirken, macht sich an jedem dieser Anschläge mitschuldig. Die Zeit bedauernder Worte ist abgelaufen. Jetzt muss gehandelt werden.

2 Kommentare zu Frankreich im Schockzustand

  1. Karl-Friedrich Bopp // 19. Oktober 2020 um 11:11 // Antworten

    Lieber Kai, ein ausgezeichneter Artikel. Gilt im übrigen auch für die moslemischen Gemeinden in Deutschland. Karl-Friedrich

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