Frankreich – jeder gegen jeden…
Die Wahl der Präsidentschaft der „Assemble Nationale“ wurde zum Vorgeschmack dessen, was die Franzosen demnächst auf politischer Ebene erwartet. Ein Hauen und Stechen.
(KL) – Die neue Parlamentspräsidentin ist auch die alte Parlamentspräsidentin – Yaël Braun-Pivet von der Macron-Partei, die sich nach drei knappen Wahlgängen mit 220 Stimmen gegen den Kandidaten der „Neuen Volksfront“ André Chassaigne und den Kandidaten des rechtsextremen RN-ex-FN Sébastien Chenu durchsetzte. Allerdings ist bemerkenswert, dass Chassaigne nach dem ersten Wahlgang noch vor Sébastien Chenu führte und Braun-Pivet nur auf dem dritten Platz lag. Doch dann begann die Feilscherei hinter verschlossenen Türen.
Für die 70 % der Franzosen, die sich am 30. Juni und 7. Juli für die vorgezogenen Parlamentswahlen mobilisiert hatten, ist die Situation mehr als seltsam. Da haben sie in diesen beiden Wahlgängen die Regierung abgewählt und die Anzahl der Abgeordneten der Macron-Partei auf 99 geschrumpft und das Ergebnis ist, dass das Land immer noch die gleiche Parlamentspräsidentin, den gleichen Premierminister und den gleichen Präsidenten hat. Möglich wird dies durch das Geschacher um Posten und Pöstchen, vor dem Hintergrund dass die Macron-Partei alles daran setzt, die linke „Neue Volksfront“ zu sprengen, denn was das Wahlergebnis gestern deutlich zeigte, ist dass es keine Gruppierung und keine „Koalition“ schaffen wird, die Mehrheit von 289 Stimmen im Parlament zu erreichen. Auch Braun-Pivet wurde mit lediglich 220 Stimmen gewählt, unter Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte und damit ist selbst diese Macron-Koalition noch 69 Stimmen von der Regierungsfähigkeit entfernt.
Nun war Yaël Braun-Pivet keine schlechte Parlamentspräsidentin, doch die Botschaft aus den Pariser Palästen der Macht klingt nicht gut in den Ohren der Franzosen: „Ihr könnt wählen wie ihr wollt, wenn uns das Ergebnis nicht passt, dann machen wir trotzdem weiter wie zuvor, ob wir eine Mehrheit haben oder nicht“. Und diese Negierung der Demokratie und des Wahlergebnisses ist beunruhigend, da sie nichts Gutes für die nächsten politischen Termine in Frankreich verheißt. Macron macht mit seiner abgewählten Regierung einfach weiter und sollte das irgendwann zu Problemen führen, wird er den „Ermächtigungs-Paragrafen“ Artikel 16 aktivieren, der ihm die Alleinherrschaft über das Land gibt.
Man kann sich fragen, was Macron eigentlich erwartet hatte, als er weniger als eine Stunde nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Europawahl am 7. Juni das Parlament auflöste und hektisch Neuwahlen ausschrieb. Angeblich, so der Präsident, wollte er „Klarheit“ schaffen, stattdessen hat er das Land in das größte politische Chaos der V. Republik gestürzt und da ihm das Ergebnis der von ihm veranlassten Wahl nicht passt, macht er einfach so weiter, als hätten die Franzosen gar nicht gewählt.
Dass das französische Parlament nun von einer Vertreterin einer inzwischen überschaubaren Kleinpartei geleitet wird, die sich noch vor wenigen Tagen realitätsfremd „präsidiale Mehrheit“ nannte, die stärkste Fraktion und die stärkste Einzelpartei dafür in die Röhre schauen, wirft ein denkbar schlechtes Licht auf den Zustand der französischen Demokratie.
Und Macron hat noch weitere Taschenspieler-Tricks auf Lager. Denn selbst, wenn sich die linken Parteien mühsam auf einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs einigen sollten, so ist der Präsident durch nichts gezwungen, diesen auch tatsächlich zu ernennen, stärkste Fraktion hin oder her. Macron kann irgendjemand nominieren und seit gestern ist klar, dass er das auch tun wird. Der Schaden, den die „Macronie“ in ihren letzten Zügen Frankreich zufügt, ist enorm und offenbar ist es dem Pariser Machtapparat noch nicht richtig klar, dass es in der Bevölkerung gärt. Viel kann sich Macron nicht mehr leisten, bevor die enorme Unzufriedenheit und Frustration der Franzosen in Gewalt auf der Straße umschlägt und die Geschichte zeigt, dass solche Entwicklungen in Frankreich denjenigen, die sich an der Macht festklammern, nicht sonderlich gut bekommt.
Daher geht es gar nicht um die Frage, ob Yaël Braun-Pivet eine gute oder schlechte Parlamentspräsidentin ist, sondern es geht um die Demokratie in Frankreich, die von der „Macronie“ seit Jahren verhöhnt wird und die dies selbst zu einem Zeitpunkt weiterhin tut, wo sie bereits abgewählt ist. Insofern ist diese Wahl gestern ein ganz schlechtes Zeichen für Frankreich, wo sich Unruhen zusammenbrauen, von denen man kaum sagen kann, wohin sie führen. Das einzige, was die Situation noch beruhigen könnte, wäre der Rücktritt des von 85 % der Franzosen nicht mehr gewollten Präsidenten, doch da sich dieser als gottgleich und zurecht Herrscher über die Franzosen betrachtet, wird es dazu nicht kommen. Frankreich stehen sehr unruhige Zeiten ins Haus und da wird auch die Hochsicherheits-Show der Olympischen Spiele nichts ändern können, im Gegenteil.
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