Frankreich stolpert in eine institutionelle Krise

Nach dem Wahldesaster des gesamten bürgerlichen Lagers verfallen die einstmals großen Parteien in die üblichen Reflexe. Andere beschuldigen und sich selbst zerfleischen.

Jean-François Copé ist das erste Bauernopfer nach den Wahlen. Der Parteichef der UMP musste gehen. Foto: Cheep88 / Wikimedia Commons

(KL) – Weder die französische Regierungspartei PS, noch die konservative oppositionelle UMP haben begriffen, was ihnen da am Sonntag passiert ist. Dementsprechend fielen die Reaktionen aus. Während die Parteispitze der PS wie immer die Schuld bei anderen sah, vor allem bei „Europa“, köpfte die UMP kurzerhand ihren von Skandalen geplagten Parteichef Jean-François Copé. Die Reaktionen auf die Wahlschlappe sind genauso orientierungslos wie schon der ganze Wahlkampf. Wovon weiterhin nur eine profitiert: Marine „Jeanne 2.0“ Le Pen.

Für François Hollande und seinen Regierungschef Manuel Valls war schnell klar, wer wie immer an allem Schuld ist. Europa. Klar, wer sonst. „Europa muss sich jetzt den Menschen anpassen“, ermahnten sie weise die Europäische Union, als ob die europäische Politik nicht auch von ihnen zu verantworten wäre. Doch ob „Europa-Bashing“ wirklich Punkte bringt, ist fraglich. Bislang jedenfalls hat das permanente mit-dem-Finger-auf-Europa-zeigen nur zu einer geringen Wahlbeteiligung und einem Durchbruch des rechtsextremen Front National geführt. Doch im Grunde ist die Reaktion der PS in Paris nicht verwunderlich. Hätte die PS die politische Lage in Frankreich noch im Griff, dann wüsste man das und dann hätte sie bei der Wahl auch etwas mehr als 14 % der Stimmen bekommen.

Die Konservativen der UMP waren da schon konsequenter – sie setzten ihrem Parteichef Jean-François Copé den Stuhl vor die Tür. Bis zu einem Parteitag im Herbst werden nun drei jugendliche Hoffnungsträger die Geschicke der UMP leiten: die ehemaligen Ministerpräsidenten Alain Juppé, François Fillon und Jean-Pierre Raffarin. So sieht ein glaubwürdiger und zukunftsorientierter Neuanfang aus!

In keiner der Parteien begreift man, dass es Zeit ist, die kompletten Führungsstrukturen auszutauschen. Skandale aller Art, seit Jahrzehnten die gleichen Gesichter, dieselben Seilschaften, die verhindern, dass sich die Parteien von innen heraus verjüngen und reformieren können und diese Konstellation nutzen gerade die extremistischen Sirenen, um die Wähler auf ihre Seite zu bringen.

Gewiss, Parteistrukturen sind in allen Ländern mehr oder weniger unflexibel, doch gerade in Frankreich fällt auf, dass es nie die Kompetentesten, sondern immer nur die erfolgreichsten Netzwerker in die hohen Positionen schaffen. Doch wer „Netzwerker“ sagt, der meint natürlich „Seilschaften“, stillschweigende Verpflichtungen und das Berauschtsein von der eigenen Macht. Sinnvolles für das Land tut keiner mehr.

Doch es bleibt ja nicht bei einem reinen Ärgernis. Frankreich taumelt gerade in die größte Regierungskrise der V. Republik, die eigentlich zur VI. Republik führen müsste. Kann François Hollande, dem mittlerweile 85 % der Franzosen das Vertrauen entzogen haben, wirklich noch drei Jahre weiterregieren? Oder würden Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt nur dazu führen, den Rechtsextremen die Schlüssel Frankreichs in die Hand zu drücken? Kann man wirklich regieren, wenn das ganze Land einen nur noch verspottet?

Frankreich ist heute tatsächlich gefährdet, auch wenn die meisten Franzosen der Ansicht sind, dass der Wahlerfolg der Rechtsextremen ungefährlich sei. In einer Zeit, in der die Menschen nach Orientierung und politischer Führung sehnen, haben Volksverführer Hochkonjunktur. Für „Wehret den Anfängen“ ist es mittlerweile bereits zu spät. Wenn Extremisten bei Wahlen 30 % der Stimmen holen, ist das Anfangsstadium längst überschritten.

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