Frankreich und das Covid-Chaos

Frankreich hat gerade richtig Pech. Das Pech, dass die gewaltige „Omikron-Welle“ mitten in den Wahlkampf platzt. Da wird es schwierig, das Narrativ aufrecht zu erhalten, man habe die Krise „besser als alle anderen“ gemanagt.

Viele Massnahmen waren unverständlich, wirkungslos waren die meisten. Foto: MHM55 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die regelmäßigen TV-Auftritte von Premierminister Jean Castex, Gesundheitsminister Olivier Véran, dem jungschen Regierungssprecher Gabriel Attal und manchmal von Präsident Macron werden langsam peinlich. Obwohl Frankreich inzwischen neben Israel und Dänemark weltweit zu den drei Ländern mit den höchsten Inzidenzen zählt, versuchen diese Regierungsvertreter den Franzosen weiterhin zu vermitteln, sie hätten die Pandemie besser als alle anderen und überhaupt hervorragend gemanagt. Dass nun mitten in den Wahlkampf hinein die Konsequenzen der französischen Politik zum Ende des Jahres 2021 ans Tageslicht treten, das passt natürlich gar nicht in dieses Narrativ.

Die Inzidenzen in Frankreich sind schwindelerregend, die Maßnahmen der Regierung bewegen sich zwischen amateurhaft und wirkungslos. Und wenn Regierungssprecher Attal etwas hilflos erklärt, man sei von dieser Entwicklung überrascht worden, dann muss man festhalten, dass sich genau diese Entwicklung im November/Dezember 2021 deutlich abgezeichnet hatte, als Frankreich eigentlich recht gute Zahlen aufwies, dann aber alles dem Jahresendgeschäft des Einzelhandels, dem Wunsch der Fußballvereine nach vollen Stadien und der Aufrechterhaltung der touristisch bedeutsamen Weihnachtsmärkte opferte und dafür das Land für alle öffnete, in deren Ländern zu diesem Zeitpunkt absoluter Stillstand verordnet war. Dass das nicht gutgehen konnte, war klar.

Dass diese „Freiheiten“ zum Jahresende erforderten, dass man den Menschen suggeriert, dass die Krise vollkommen im Griff sei und man mit kleinen Maßnahmen gut klarkäme, führte zu einer Situation, in der viele Franzosen, müde von 2 Jahren der Pandemie, die Vorsicht über Bord warfen und sich fröhlich ins Getümmel der Weihnachtsmärkte und Geschäfte stürzten. Dass man in dieses Getümmel im Elsass auch die badischen Nachbarn einlud, bei denen die Inzidenz gerade derart durch die Decke schoss, dass dort flugs alle Weihnachtsmärkte geschlossen und scharfe Maßnahmen eingeführt wurden, war auch nicht gerade sehr schlau. Und die Gleichung „Umsatz gegen Volksgesundheit“ ging nicht auf. Der Umsatz im Weihnachtsgeschäft war mau und die sanitäre Lage in Frankreich rutschte ins Bodenlose.

Gewiss, Omikron löst weniger dramatische Krankheitsverläufe aus, aber dafür ist dieses Variant derart ansteckend, dass alleine die unglaubliche Anzahl Infektionen dafür sorgt, dass die Krankenhäuser wieder am Anschlag sind und auch die Todeszahlen wieder steigen. Kein Wunder, wenn sich täglich eine halbe Million Franzosen neu infizieren und diese Zahl berücksichtigt noch nicht einmal die wohl deutlich höhere Dunkelziffer, denn die offiziellen Zahlen beruhen ausschließlich auf Testergebnissen und Zahlen aus den Krankenhäusern. Aber wer kann schon sagen, wie viele nicht getestete, aber infizierte Franzosen unterwegs sind?

Um die eigene Hilflosigkeit kurz vor dem Superwahljahr 2022 zu kaschieren, entschied man sich in Paris, die Gesellschaft zu spalten und die Jagd auf nicht geimpfte Personen zu eröffnen. Dazu machte man mit regionalen Mini-Maßnahmen weiter, über die man fast lächeln musste, wäre die Situation nicht so ernst gewesen. Ob das Virus tatsächlich dadurch eingedämmt werden kann, dass man in der Hälfte der Departements eine (zumeist nicht kontrollierte) Maskenpflicht einführte, indem man in Kneipen und Cafés den Verzehr nur im Sitzen gestattete oder den ohnehin nutzlosen „Sanitärpass“ in einen ebenso nutzlosen „Impfpass“ umetikettierte, das ist mehr als fraglich.

Aber jetzt ist Wahlkampf - und daher hat die französische Regierung ihren „Exit-Plan“ aus der Pandemie präsentiert. Bis zum ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl werden schrittweise alle sanitären Maßnahmen abgeschafft. So etwas zu einem Zeitpunkt zu verkünden, zu dem Frankreich zu den weltweit drei am stärksten betroffenen Ländern gehört, ist ziemlich unverantwortlich. Ebenso wie der dazugehörige Diskurs, der immer wieder das mögliche „Ende der Pandemie“ ankündigt. Doch Macron und seine Truppe wollen, ja sie müssen sich als die „Bezwinger der Pandemie“ präsentieren, wollen sie eine Chance haben, ihre hoch dotierten Jobs zu behalten.

Ab sofort geht es nur noch um Kommunikation. Da im französischen Selbstverständnis für den Präsidenten das gleiche Unfehlbarkeits-Dogma wie im Vatikan für den Papst gilt, kann Macron gar nicht anders, als sich auf dem Höhepunkt der Pandemie als der Bezwinger derselben zu präsentieren. Dass die Zahlen eine ganz andere Sprache sprechen, das wird eben den 8 oder 9 % der nicht geimpften Franzosen in die Schuhe geschoben, die allerdings mit der Verbreitung dieses Virus herzlich wenig zu tun haben. Verbreitet wird auch Omikron überwiegend von geimpften, aber dennoch infizierten Menschen, die sich aufgrund eines falschen Gefühls der Sicherheit nicht mehr testen lassen. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass die Impfungen in vielen Fällen einen Schutz vor schweren Verläufen darstellen, was sie zu einem Werkzeug macht, aber sicher nicht zur einzig selig machenden Strategie.

Richtig gut hat kein Land diese Pandemie gemanagt und das ist verständlich, denn noch nie waren gleichzeitig alle Regierungen der Welt mit einem solchen Phänomen konfrontiert. Doch sind bisher nicht viele andere Regierungen auf die Idee gekommen, sich selbst trotz katastrophaler Zahlen und Entwicklungen über den grünen Klee zu loben. Aber wie gesagt, wir sind im Wahlkampf. Man darf gespannt sein, ob die französischen Wählerinnen und Wähler am 10. April immer noch den „Pariser Geschichten aus 1001 Nacht“ glauben…

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