Frankreich und Italien suchen gemeinsame Wege

Matteo Renzi und Manuel Valls wollen die EU-Stabilitätskriterien demnächst hinterfragen. Und ihre Einhaltung erst einmal verschieben.

Der italienische Regierungschef Matteo Renzi will die EU-Stabilitätskriterien hinterfragen. Foto: Alex Valli / Wikimedia Commons

(KL) – Nach der Regierungsumbildung in Frankreich war die erste Amtshandlung der neuen Regierung Valls die Ankündigung, dass man nun den Zeitpunkt, zu dem man bereit ist, die europäischen Stabilitätskriterien einzuhalten, lieber erst einmal verschieben möchte. Einen Partner für diesen neuen Politikansatz hat Manuel Valls auch schon gefunden – den italienischen Regierungschef Renzi. Italien, so Renzi, will seine europäische Präsidentschaft ab Juli nutzen, um den Druck auf den Haushalt abzufedern. Und Wolfgang Schäuble schlägt diesen leisen, beherrschten Ton an, an dem man hört, dass er am liebsten laut würde. Und dass er ernsthaft verstimmt ist.

„Ich glaube“, so kommentierte Schäuble und gab sich große Mühe, ja kein falsches Wort zu sagen, „dass es keine schlechte Idee ist, wenn man die Regeln einhält, die man sich selbst gegeben hat.“ Denn nur wenige Wochen vor der Europawahl steht die Union einmal mehr vor einer Grundsatzfrage, in der sich die großen europäischen Mitgliedsstaaten nicht einig sind. Austerität oder Neuverschuldung? Dabei könnte man doch inzwischen in Europa gemerkt haben, dass die Wahrheit weder im einen, noch im anderen Ansatz liegt.

Die deutsche Austeritäts-Politik funktioniert nur in Ländern, denen es relativ gut geht. Und selbst hier ist der Preis für diese Politik das Abrutschen großer Teile der sozial schwächeren Schichten in echte Problemzonen. Anderswo, wo die Krisen bereits schlimm gewütet haben, führt die Austerität à la Merkel in soziales Elend und bestraft unnachgiebig diejenigen, die für diese Krisen keinerlei Verantwortung tragen. Man kann den Gürtel eben nur dann enger schnallen, wenn er sich um einen gut gepolsterten Bauch windet. Sich den Gürtel aber enger zu schnallen, wenn die Hungerkatastrophe bereits eingetreten ist, schafft ein neues Prekariat, das heute bereits die soziale Kohäsion in Ländern wie Griechenland oder Spanien ernsthaft bedroht.

Die Neuverschuldung nutzt auch nur sehr kurzfristig und verschiebt die eigentlich Problematik um genau den Zeitraum, der zwischen der Kreditaufnahme und der Kreditfälligkeit liegt. Also kurz. Ohne eine richtig pfiffige, begleitende Konjunkturpolitik, die auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist und daher auch die soziale Dimension berücksichtigt, nützt das kurzfristige Stopfen von Haushaltslöchern mit immer neuen Krediten gar nichts. Doch genau diese neuen Wirtschaftskonzepte fehlen. Oder aber der Mut, diese auszuprobieren.

Gleichzeitig gießt das neue Tandem Renzi / Valls jede Menge Öl ins Feuer der Europaskeptiker und das auch noch wenige Wochen vor der Europawahl. Denn das Beispiel könnte Nachahmer finden – warum sollten sich andere EU-Mitgliedsstaaten Mühe geben, die Stabilitätskriterien zu erfüllen, wenn die anderen es auch nicht tun? Für politische Kräfte wie die AfD in Deutschland oder den FN in Frankreich wird diese Entwicklung ein weiteres Argument gegen die europäische Solidarität liefern.

Einmal mehr ist die richtige Perspektiv nicht das „weniger Europa“, das sich Renzi und Valls vorstellen, sondern ganz im Gegenteil, ein „mehr Europa“. Nur eine europäische Regierung für Wirtschaft, Steuern und Soziales könnte ein soziales Gleichgewicht in Europa herstellen. Doch heute sind wir von einer solch gemeinsamen Zukunft in Europa weiter entfernt als je zuvor. Ein grundlegender Konflikt über die Zukunft dessen, was Europa eigentlich sein soll, ist vorprogrammiert und beginnt sicherlich sofort nach den Wahlen.

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