Frankreich versinkt in der Renten-Krise

Wenn eine schwache Regierung auf eine noch schwächere Opposition trifft, dann kommt so ein jämmerliches Spektakel dabei heraus wie die gestrige „Debatte“ in der Nationalversammlung in Paris.

Arbeitsminister Olivier Dussopt verlor am Ende der Debatte in der Nationalversammlung die Nerven. Foto: Pierre Antoine / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Kurz nach Mitternacht, als die Erste Lesung des Gesetzes zur Rentenreform unvollendet und ohne Abstimmung beendet wurde und das ganze Gesetzpaket undiskutiert an den Senat weitergereicht wurde, ergriff Arbeitsminister Olivier Dussopt noch einmal das Wort und kreischte mit hochrotem Kopf und sich überschlagender Stimme den Abgeordneten hinterher, dass man ihn jetzt 15 Tage lang beleidigt habe, aber die Regierung immer noch stehe und nicht eingebrochen sei. Dass er mit diesem höchst seltsamen Schlusspunkt genau das Gegenteil dessen zeigte, was er dort zum Besten gab, war nur der traurige Höhepunkt dieser Farce einer Debatte. Und die Franzosen fragen sich jetzt, was eigentlich im Superwahljahr 2022 passiert ist, als man einer amateurhaften und schwachen Regierung ein zweites Mandat und sich dazu die wohl durchgeknallteste Opposition der V. Republik gab.

Stunden und Tage steriler und größtenteils inhaltsloser „Debatten“, die aus Ordnungsrufen, Beschimpfungen, Beleidigungen, Gebrülle und endlosen Abstimmungen über die rund 20.000 Änderungsanträge der heillos zerstrittenen Opposition bestanden, die deshalb gestellt wurden, um die Debatte über das Gesetz zu verhindern. Und das gelang auch weitgehend, wofür sowohl die Regierungsvertreter, die Abgeordneten der Präsidentenpartei, aber in allererster Linie die Vertreter der Opposition sorgten. Die völlig überforderten Minister Olivier Dussopt und Gabriel Attal standen auf verlorenem Posten, präsentierten keine oder falsche Zahlen, die sie dann korrigieren mussten, was der Opposition wiederum die Möglichkeit gab, zahlreiche Redebeiträge als „Verfahrens-Ordnungsruf“ zu verkleiden und die „Debatten“ weiter in die Länge zu ziehen.

In der letzten Stunde, zwischen 23 Uhr und Mitternacht, beklagten dann alle gemeinsam, dass praktisch keine Debatte zu den Inhalten dieser Reform stattgefunden habe, doch die Schuld daran tragen sie alle zusammen. Die Regierung, deren überforderte Vertreter nicht oder nur wenig auf Fragen antworteten und sich redlich bemühten, möglichst arrogant aufzutreten, und die Opposition, die jegliche Debatte mit der Strategie der Tausenden von Änderungsanträgen verhinderten. Dazu schossen die Vertreter der verschiedenen Oppositionsparteien von linksaußen bis rechtsaußen auch noch ständig gegenseitig aufeinander, so dass das Parlament in diesem Chaos nicht einmal bis zum Artikel 7 des Gesetzesvorschlags kam, in dem die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre festgelegt werden soll.

Und wie geht es jetzt weiter? Das Gesetzesvorhaben ist nun eben ohne Abstimmung an den Senat verwiesen worden, die zweite gesetzgebende Kammer Frankreichs, die den ganzen Vorgang aber nur noch verzögern kann, indem sie das Gesetz ablehnt und an die Nationalversammlung zurückverweist, wo es dann zu einem Vermittlungsauschuss kommt und am Ende des Tages entscheidet dann das Parlament, aber auch nur dann, wenn die Regierung das Gesetz nicht einfach ohne Abstimmung verabschiedet, indem es den inzwischen berühmten Paragraphen 49.3 zieht.

Abgesehen davon, dass dieses Spektakel für ein Parlament absolut unwürdig war, erschüttert die Art und Weise, in der die Regierung diese Reform ohne Rücksicht auf Verluste durchzieht, das ganze Land. Die Demonstrationen werden deutlich schärfer werden und bereits im Parlament kündigten die Abgeordneten der extremistischen Parteien „die Antwort der Straße“ für den 7. März an, also den Tag, an dem die Gewerkschaften Frankreich lahmlegen werden, wenn sich die Regierung bis dahin nicht bewegt hat. Doch die denkt überhaupt nicht daran.

Höhepunkt war am Ende der hysterische Ausfall von Arbeitsminister Olivier Dussopt, der von der Aufgabe, dem Parlament und den Franzosen diese Reform schmackhaft zu machen, hoffnungslos überfordert war. Nun ist der Mann von Haus aus kein begnadeter Redner, aber das, was er da in der Assemblée Nationale ablieferte, wäre alleine schon ein Kündigungsgrund.

Vermutlich haben nicht viele Franzosen diese „Debatte“ live im Fernsehen verfolgt, es gibt schließlich auch spannendere Aktivitäten an einem Freitagabend. Doch diejenigen, die diese „Debatte“ angeschaut haben, verzweifeln vermutlich am Zustand der französischen Demokratie, die sich so ungeschminkt in aller ihrer Zerrissenheit zeigte, dass man sich fragen muss, wie es weitergehen soll. Frankreich muss dringend sein Parteiensystem überdenken, denn das, was sich da im Parlament tummelt, bewegt sich inzwischen am Rande zum Lächerlichen. Und es bleibt die beunruhigende Erkenntnis, dass dieses Land so erbärmlich geführt wird, dass wohl kaum eine der vielen aktuellen Krisen von diesem Personal gelöst werden kann.

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