Frankreich vor dem nächsten heißen Wochenende

Frankreich kommt nicht zur Ruhe. Nach Akt V und trotz des Anschlags in Straßburg organisieren die „Gelbwesten“ nun Akt VI. Mit neuer Taktik.

Es wäre an der Zeit, Lösungen am Verhandlungstisch zu suchen und zu finden, statt sich gegenüber zu stehen. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Am Samstag, den 22. Dezember, werden die „Gelbwesten“ den übrigen Franzosen gründlich das letzte Adventswochenende vermiesen. In einer generalstabsmäßig organisierten Aktion wollen sie eine neue Taktik ausprobieren. Statt in Paris zu demonstrieren (die Operation trägt den Namen „Paris vide“ – „Paris leer“), kündigen die „Gelbwesten“ an, Aktionen in 14 französischen Städten durchzuführen. Auseinandersetzungen mit der Polizei sind damit programmiert, denn eine Woche nach dem Anschlag in Straßburg sind die meisten der ohnehin schon seit Wochen im Einsatz befindlichen und übermüdeten Polizeikräfte zur Sicherung des letzten Wochenendes der Weihnachtsmärkte im Einsatz. Und in Paris gibt die Regierung kein stabiles Bild ab. Zu Weihnachten rutscht Frankreich immer weiter in die seit November immer weiter eskalierende Krise.

In der vergangenen Woche hat sich die Lage in Frankreich weiter verschärft. In der Auseinandersetzung zwischen den „Gelbwesten“ und der Regierung gibt es kaum Bewegung, was daran liegt, dass alle Beteiligten so ziemlich jeden Fehler machen, den man begehen kann. Die Regierung fabriziert seit einer Woche eine Echterdinger Springprozession, macht einen Schritt vorwärts, nimmt diesen zurück, nur um ihn dann erneut anzukündigen. Präsident Macron und Premierminister Philippe testen sich gegenseitig aus, verkünden einseitig geplante Maßnahmen, die vom jeweils anderen widerrufen werden. Und nichts von dem, was sie ankündigen, vorschlagen, zurücknehmen oder tun, findet noch Gnade vor den Augen der „Gelbwesten“.

Aber wie auch? Die „Gelbwesten“ sind nach wie vor unorganisiert, rutschen aber immer weiter in eine stark von rechtsextremen Gruppierungen beeinflusste Ecke. Inzwischen lauten auch Forderungen aus einzelnen Gruppen, bei denen man nie wissen kann, für wen sie sprechen oder ob ihre Forderungen oder Stellungnahmen repräsentativ für diese Bewegung sind oder nicht, gar nicht mehr nach sozialen Fortschritten, sondern sie wollen die Macht übernehmen. Für die meisten anderen ist die Hauptforderung die Einrichtung einer VI. Republik in Form einer Volksregierung, die per Referendum funktioniert, was zunächst sehr basisdemokratisch erscheinen mag, sich aber bei näherem Hinschauen als Instrument für die Einrichtung eines totalitären Staats missbraucht werden kann. Im Zeitalter manipulierter Informationen und Kampagnen, die offenbar inzwischen selbst Wahlen in den größten Ländern der Welt beeinflussen, wenn nicht gar entscheiden können, sind Manipulationen in einer solchen Staatsform vorprogrammiert. Stimmungen in der Bevölkerung können gezielt manipuliert werden, um ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu erzielen. Ein System, das schon vor seiner Einführung zum Scheitern verurteilt ist.

Wie wird es nun weitergehen? Das ist, drei Tage vor Heiligabend, schwer vorherzusehen. Auch die Intensität der Auseinandersetzungen am kommenden Samstag, dem „Akt VI“, wird einen großen Einfluss darauf haben, wie es weitergeht. Speziell in Straßburg dürfte es für die „Gelbwesten“ schwer werden, in der Bevölkerung Unterstützung für Angriffe gegen Polizei, Präfektur, Rathaus oder gar die Weihnachtsmärkte zu finden. Vor wenigen Tagen dankten die Straßburger und die ganze Nation den Ordnungs- und Rettungskräften, nachdem der Attentäter erschossen worden war. Sie werden es kaum schätzen, wenn am Samstag mit Pflastersteinen auf ebendiese Kräfte geworfen würde.

Die Regierung wird alles daran setzen, sich in die Weihnachtspause zu retten, um durchzuatmen und sich neu aufzustellen. Doch ist unwahrscheinlich, dass ihr die „Gelbwesten“ diese Gelegenheit geben werden – und irgendwann wird es heftig krachen. Innenminister Castaner hat bereits in dieser Woche mit der Evakuation der besetzten Verkehrskreisel beginnen lassen und es wird sich in den nächsten Tagen zeigen, wie die „Gelbwesten“ weitermachen.

Statt nun die Füße hochlegen zu können, statt während der Feiertage das vergangene und in vieler Hinsicht schlimme Jahr 2018 Revue passieren zu lassen, muss man in Frankreich aufpassen, dass das Land nicht genau in diesen Tagen in die Hände von Extremisten fällt, deren Ziele noch nicht einmal genau definiert werden können, da jede Ortsgruppe der „Gelbwesten“ gerade ihr eigenes Regierungsprogramm entwirft. Wie die Regierung unter maximalem Druck (auch in den Reihen der Fraktion der Regierungspartei LREM brodelt es bereits) es schaffen will, das Land in den nächsten Tagen zu befrieden, steht in den Sternen. Dabei sind die meisten Franzosen einfach nur müde. Die einen, weil sie ein schweres Leben haben und seit Wochen bei Wind, Wetter und Kälte in Blechbaracken auf Verkehrskreiseln im Nirgendwo der französischen Landstraßen ausharren; die anderen, weil sie mit ihren Autos von den Erstgenannten am Weiterfahren zur Arbeit, zum Kindergarten oder zum Einkaufen stundenlang behindert und teilweise massiv unter Druck gesetzt werden; die Dritten sind einfach müde von den Bildern und der Atmosphäre der Gewalt, denen sich kaum jemand entziehen kann und natürlich sind auch die unmittelbaren Akteure müde, die mit der Verantwortung umgehen müssen, das Land umgehend zu befrieden und dafür zu sorgen, dass nicht weitere Menschen zu Tode kommen und dass die inzwischen immensen Schäden für die französische Wirtschaft noch aufgefangen werden können. Alle sind müde. Wie wär’s mit einem Waffenstillstand?

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