Frankreich wehrt die „braune Welle“ ab…

… und macht sich notgedrungen auf den Weg zu einer Erneuerung des völlig verkrusteten Politiksystems. Ab sofort ist Frankreich auf dem Weg zur VI. Republik.

Wie hier in Strasbourg hatte man in vielen Städten befürchtet, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte. Aber Frankreich hat sich für mehr Demokratie entschieden. Foto: Pascal Houssais / CC-BY 2.0

(KL) – Noch vor einer Woche, nach dem erdrutschartigen Erfolg des „Rassemblement national“ (ex-Front National) im ersten Wahlgang der vorgezogenen Parlamentswahlen, drehten sich die Diskussionen vor allem um die Frage, ob die Rechtsextremen die absolute Mehrheit im Parlament gewinnen würden und ob sie in diesem Fall auch den Regierungschef in der Person von Jordan Bardella stellen würden. Am gestrigen Wahlabend dann die Überraschung. Statt der anvisierten 290 Sitze im Parlament werden die Rechtsextremen nur rund 140 Sitze erhalten und werden als nur drittstärkste Fraktion kaum Gewicht in der französischen Politik haben. Doch die eigentliche Arbeit für die französische Politik wird nun erst beginnen und es wird keine leichte Aufgabe für das neue Parlament werden, diesen radikalen Umbruch hin zur VI. Republik zu bewerkstelligen. Doch heute überwiegt zunächst die Freude, dass sich Frankreich erfolreich gegen die „braune Welle“ gestemmt hat.

Die Situation im Elsass ist symptomatisch für das ganze Land. Hatten die Rechtsextremen nach dem ersten Wahlgang vor einer Woche noch in 11 von 15 elsässischen Wahlkreisen geführt, konnten sie am Ende nur hauchdünn einen einzigen Sitz im Norden des Elsass erobern, alle anderen Wahlkreise gingen auf dem Land an die demokratischen Konservativen und in den Städten an die neue, linke „Volksfront“.

Und somit wird Frankreich eine Situation in der Assemblée Nationale erleben, die das Land in dieser Form nicht kannte. Stärkste Fraktion wird mit knappem Vorsprung die linke „Volksfront“, gefolgt von den Macronisten von „Ensemble!’ und die Rechtsextremen sind nur die dritte Kraft. Doch keine Partei hat eine Mehrheit und plötzlich muss Frankreich etwas tun, was es nicht gewohnt ist – politische Kompromisse finden, wie in anderen Demokratien auch. Die Zeiten, in denen Frankreich von einer Art parlamentarischer Monarchie regiert wurde, sind vorbei, künftig müssen Frankreichs Parteien aus dem linken Spektrum und der politischen Mitte gemeinsam sprechen, tragfähige Lösungen für konkrete Themen finden und ganz anders regieren als bisher. Da winkt die VI. Republik am Horizont, mit der Frankreich demokratischer werden kann, allerdings setzt dies voraus, dass die politischen, verhärmten Dinosaurier wie der LFI-Chef Jean-Muc Mélenchon in Rente gehen. Denn tragfähige Kompromisse sind mit ideologischen Starrköpfen wie Mélenchon nicht machbar und es kann auch nicht im Interesse der LFI liegen, dass Frankreich unregierbar wird.

Anders als Italien, die Niederlande oder Ungarn sind die Franzosen nicht den Sirenengesängen der Rechtsextremen in die Falle gegangen. Frankreich ist ein demokratisches Land und der Auftrag der Wählerinnen und Wähler, die für eine sehr hohe Wahlbeteiligung von fast 70 % sorgten, ist klar – die Franzosen wollen, dass das Gemauschel in den Pariser Palästen der Macht endet und dass sich die politischen Instanzen endlich um die Probleme der Menschen kümmern.

Einer der Verlierer dieser Wahl ist Emmanuel Macron. Ganz Frankreich hat verstanden, dass die im Handstreich entschiedene Auflösung des Parlaments ein Spiel mit der Zukunft Frankreichs war, mit dem Ziel, seine eigene Macht zu festigen. Doch das hat nicht geklappt, heute früh wird Premierminister Gabriel Attal seinen Rücktritt einreichen und dann werden die Diskussionen zwischen den Parteien losgehen, bei denen Emmanuel Macron nicht mehr viel zu sagen haben wird. Dass er Frankreich in Richtung einer Modernisierung des politischen Systems katapultiert hat, war nicht seine Absicht und dass er dabei seine eigene Rolle praktisch überflüssig gemacht hat, auch nicht.

Ob es die Parteien schaffen, sich in einem völlig neuen politischen Umfeld zurechtzufinden, wird man abwarten müssen, doch noch nie hatte Frankreich eine größere Chance, sich politisch zu modernisieren.

Nun ist erst einmal die Freude groß, dass die Wählerinnen und Wähler den Rechtsextremen beim Griff nach der Macht auf die Finger geschlagen und sich stattdessen für mehr Demokratie entschieden haben. Die Sorgen, dass es bereits ab gestern Abend zu militanten Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsextremen und bürgerkriegsartigen Szenen kommt, haben die Franzosen durch ihr Stimmverhalten selbst abgewendet. Wie ernst diese Sorge war, sieht man auf unserem Artikelbild – in vielen Städten waren gestern Abend die Geschäfte verbarrikadiert, da man bereits Straßenschlachten befürchtete. Doch Frankreichs Wählerschaft hat sich für mehr Vernunft und mehr Demokratie entschieden und man wird sehen, ob die gewählten Volksvertreter in der Assemblée Nationale in der Lage sind, diesen Wählerauftrag umzusetzen.

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