Frankreich will seine wichtigste Online-Zeitung auslöschen

Unsere Kollegen von „Mediapart“, der wichtigsten französischen Online-Zeitung mit über 800.000 Lesern jeden Tag, wird vom französischen Finanzamt seiner Existenzgrundlage beraubt. Zensur à la française.

Setzt die französische Verwaltung das blutige Weg der Attentäter von Paris mit anderen Mitteln fort? Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Wo ist nur das Frankreich geblieben, das im Januar geschlossen hinter seiner Presse stand, nach den blutigen Anschlägen auf das Satireblatt „Charlie Hebdo“? Es ist erst 10 Monate her, als ganz Frankreich darüber schwadronierte, wie wichtig unabhängige Medien doch sind, als die Politiker aller Couleur untergehakt für die Freiheit der Presse und die Meinungsfreiheit im Allgemeinen demonstrieren gingen. Doch „Wir sind Charlie“ ist längst in Vergessenheit geraten – stattdessen versucht der französische Staat gerade, der unbequemen Online-Tageszeitung „Mediapart.fr“ das Wasser abzugraben. Einzig die Solidarität der Leserinnen und Leser kann dieses Medium noch retten.

Mediapart steht für einen glasklaren, investigativen Journalismus, der bereits mehreren Ministern (sowohl der rechten Regierung unter Sarkozy als der linken Regierung unter Hollande) die Ämter gekostet hat. So ein Medium ist natürlich unbequem, zumal die Journalisten von Mediapart derartig gut vernetzt sind, dass kaum ein Skandal in Frankreich mehr unter den Teppich gekehrt werden kann, denn dort warten schon die Redakteure von Mediapart und ziehen solche Themen ganz schnell wieder an die Oberfläche.

Doch Mediapart hat einen mächtigen und gefährlichen Gegner – den französischen Staat, vertreten durch sein Finanzamt. Und dieses hat der Online-Zeitung gerade einen Bescheid über eine Steuernachzahlung in Höhe von 4,1 Millionen Euro geschickt, für eine Nachzahlung der Mehrwertsteuer in Höhe von 19,6 bzw. 20 % für die Jahre 2008 bis 2014. Das Problem dabei ist, dass in Frankreich Medien von einem reduzierten Mehrwertsteuersatz in Höhe von 2,1 % profitieren, wobei der Hintergrund natürlich ist, Medien für die Bürgerinnen und Bürger erschwinglich zu halten. Dass sich die französische Steuerbehörde beim Versuch, Mediapart mundtot zu machen, sogar über geltendes französisches Recht hinweg setzt, scheint auch kaum jemanden zu stören – Mediapart war durch alle Instanzen gegangen und hatte gegen diese Ungleichbehandlung geklagt, was zwar dazu führte, dass das französische Parlament 2014 ein Gesetz verabschiedete, das Online-Medien den gleichen Mehrwertsteuersatz wie gedruckten Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Magazinen und Werbeblättchen einräumte und dabei feststellte, dass eine Ungleichbehandlung gedruckter und online veröffentlichter Medien gar gegen die Verfassung verstößt, doch die Gelegenheit, ein wirklich unabhängiges und werbefreies Medium an die Wand zu stellen, die scheint einfach zu günstig zu sein.

Nachdem alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und die französische Justiz scheinbar ebenso erpicht darauf ist, Mediapart das Wasser abzugraben wie die Finanzbehörden, muss Mediapart nun zahlen – der französische Staat hat es eilig, denn für 2016 ist selbst auf europäischer Ebene ein entsprechendes Gesetz geplant, mit dem Online-Medien Printmedien gleichgestellt werden sollen, so, wie es in Frankreich seit 2014 der Fall ist. Bis dahin möchte man das unbequeme Medium aus dem Weg geräumt haben.

Erstaunlich ist, angesichts der Tatsache, dass Mediapart seine Forderung nach fiskaler Gleichstellung mit Printmedien, deren Auflagen häufig keine 10 % der Leserschaft von Mediapart ausmachen, immer öffentlich gemacht hatte und in dem Steuerbescheid über 4,1 Millionen Euro dennoch 40 % Strafzahlung für „böswillige Nichtzahlung“ enthalten sind. Und ebenso erstaunlich ist, dass selbst Nicolas Sarkozy, der mehrere Minister durch Mediapart-Reportagen verlor und selbst permanent im Kreuzfeuer der Mediapart-Journalisten steht und sicherlich nicht dem Verdacht ausgesetzt ist, ein „Freund“ von Mediapart zu sein, bereits 2009 erklärte: „Der Status eines Online-Herausgebers muss zum Anspruch auf die steuerliche Gleichbehandlung mit anderen Pressehäusern führen. Frankreich kann keinesfalls diese doppelt dumme Situation dulden, in der die Online-Presse schlechter als die Printmedien gestellt ist und Online-Medien gegenüber kostenlosen Printmedien [die in Frankreich in journalistisch zweifelhafter Qualität zahlreich vertreten sind, Anm. d. Red.] benachteiligt werden. Das macht keinen Sinn.“ Nur insofern, dass damit auf „elegante“ Art und Weise ein Medium mundtot gemacht werden kann, das den Mächtigen in Politik, Wirtschaft und Justiz in Frankreich schon lange ein Dorn im Auge ist.

Frankreichs Behörden scharren bereits mit den Hufen – es kann ihnen jetzt gar nicht schnell genug gehen. Doch hat Herausgeber Edwy Plenel einen Aufruf an die Leserschaft von Mediapart geschrieben, in dem er um Unterstützung bittet. Angesichts der Tatsache, dass mehr als 800.000 Menschen täglich Mediapart lesen (unter anderem auch die „Edition Eurojournalist(e)“ auf Mediapart…), könnte es gut sein, dass die 4,1 Millionen Euro tatsächlich zusammenkommen. Denn den Leserinnen und Lesern von Mediapart ist eines klar – man sollte es dem französischen Staat nicht erlauben, das blutige Werk der Attentäter von Paris weiterzuführen und selbst daran mitzuwirken, dass unabhängige Medien vernichtet werden. Das dies ausgerechnet in dem Land passiert, das als Vorreiter für die Menschenrechte gilt (in denen auch die Meinungs- und Pressefreiheit festgeschrieben ist), ist für Frankreich hochgradig peinlich. Und zeigt, wie stark die Verflechtungen zwischen den verschiedenen, einflussreichen Interessensgruppen in Frankreich heute tatsächlich ist. Bleibt zu hoffen, dass die Leserinnen und Leser von Mediapart das genau so sehen und jeder ein paar Euro springen lässt – was eine schallende Ohrfeige für einen Staat wäre, dem die Pressefreiheit entgegen aller Beteuerungen offenbar doch nicht so am Herzen liegt.

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