Frankreich zittert sich in die Stichwahl

Am Sonntag wählen die Franzosen endgültig ihr neues Parlament. Und da eigentlich niemand gute Argumente hat, wird eben die Linke verteufelt. Die sich aber auch bestens dafür eignet.

Drei Viertel der Franzosen lehnen diesen Präsidenten ab. Jetzt, wo sie ihn trotzdem wiedergewählt haben, könnten sie ihm sogar wieder die Mehrheit im Parlament spendieren. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Frankreich hat gerade 5 Jahre unter Emmanuel Macron hinter sich, mit einer schlimmen Bilanz. Die Bevölkerung ist gespalten, zahlreiche Freiheitsrechte wurden abgeschafft, das Land wird von einer Clique Wirtschaftsbosse und Politiker regiert, die es in diesen fünf Jahren geschafft hat, so ziemlich jede Bevölkerungsgruppe zu beleidigen und zu geringschätzen, Sozialproteste ungeahnter Gewalt auszulösen. Noch keine andere Regierung der V. Republik musste derart viele Minister und Staatssekretäre austauschen, da die Amtsinhaber Skandale über Skandale produzierten. International wird Macron eher als Schaumschläger betrachtet, der gerne anderen Lektionen erteilt, aber nicht einmal in der Lage ist, die Ordnung in der eigenen Hauptstadt aufrecht zu erhalten. Doch obwohl rund ¾ der Franzosen diesen Präsidenten ablehnen, könnte es sein, dass sie ihm erneut die Mehrheit im Parlament bescheren, obwohl sie wissen, was dann in den nächsten fünf Jahren auf sie zukommt. Doch weitere fünf Jahre der „Macronie“ scheinen den Franzosen weniger Angst zu machen, als das linke Wahlbündnis NUPES.

Doch obwohl praktisch alles dagegen spricht, Emmanuel Macron ein zweites Mal die Möglichkeit zur Alleinregierung zu geben, obwohl seit 2018 gegen diesen Präsidenten und seine „Politik für Reiche“ protestiert wird, obwohl Frankreich sich unter Macron weiter zu einer Art „Ungarn Westeuropas“ entwickeln wird, fürchten die Franzosen eines noch mehr als dieses Desaster mit Ankündigung – nämlich dass sich etwas ändern könnte.

Das rote Tuch für all diejenigen, die dann doch lieber Frankreich unter Macron an die Wand fahren sehen würden, ist das linke Wahlbündnis NUPES, ein unter schwierigen Bedingungen zustande gekommener Zusammenschluss von Linksextremen, Sozialisten, Grünen und anderen „linken“ Gruppen. Von diesem linken Wahlbündnis nimmt der Durchschnittsfranzose an, dass die Galionsfigur dieses Bündnisses, Jean-Luc Melenchon mindestens Kinder zum Frühstück verspeist und der Inbegriff des Belzebub ist. Da es nicht viele Argumente gegen diese Wahlalternative gibt, wird eben der prominenteste Vertreter dieses Bündnisses verteufelt. Und da sind wir auch schon beim französischen Wähler-Widerspruch.

Bei Macron weiß man, dass die nächsten fünf Jahre eine katastrophale Fortführung der letzten fünf Jahre sein werden. Es wird wieder Straßenschlachten, soziale Konflikte, Streiks bis zum Abwinken geben und gleichzeitig wird diese Regierung weiter alles daran setzen, ihre Bevölkerung zu digitalisieren, um sie noch besser kontrollieren zu können. Eben die Fortsetzung der letzten fünf Jahre. Ob es mit einer linken Mehrheit im Parlament anders würde, kann niemand sagen. Aber zumindest bestünde ein Fünkchen Hoffnung, dass eine linke Mehrheit im Parlament eine Art Regulativ für den Alleinherrscher Macron sein könnte, ein Puffer, der verhindert, dass Frankreich weiterhin monarchistisch regiert wird. Aber offenbar ziehen die französischen Wähler die Katastrophe mit Ansage der Option vor, dass sich etwas verbessern könnte. Und das wiederum bedeutet, dass die Franzosen nicht anderes verdient haben als dieses Macron-Regime.

Aber was ist nur aus Frankreich geworden? Dem Land des Humanismus, der Freiheit, der Erleuchtung und der Menschenrechte? Von diesen Dingen ist nach fünf Jahren unter Macron nicht mehr viel übriggeblieben. Und in fünf Jahren wird davon noch weniger übrig sein und die Franzosen wissen das. Doch offenbar ist eine Katastrophe, die man selbst wählt, immer noch eine bessere Alternative für die französische Wählerschaft als die Option einer Veränderung.

„NUPES will Frankreich aus der EU herauslösen!“, hört man aus den entsetzten Mündern der Macron-Jünger. Das stimmt allerdings nicht. NUPES hat angekündigt, sich bestimmten Entscheidungen der EU zu widersetzen und das ist gut so. Man kann nicht jahrelang die Fehlfunktionen der EU kritisieren und dann diejenigen wiederwählen, die für genau diese Fehlfunktionen verantwortlich sind, dafür aber diejenigen, die unsere EU auf Reformkurs bringen wollen, als „Antieuropäer“ verteufeln.

Doch es ist erstaunlich, wie kurz das Gedächtnis der Franzosen ist. Vor vier Wochen sprachen drei Viertel der Franzosen Emmanuel Macron ihr Misstrauen aus, heute feiern sie ihn als die einzig mögliche Rettung des Landes. Doch wer mit Begeisterung seinen Henker wählt, der darf sich nicht wundern, wenn er nach der Wahl einen Kopf kürzer ist…

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