Frankreichs aus der Zeit gefallene Kolonial-Politik
Bürgerkriegs-Szenen in Neukaledonien, dem französischen Übersee-Gebiet auf der anderen Seite der Welt im Pazifik. Auslöser ist eine Gesetzesänderung in Paris.

(KL) – Frankreich steht unter Druck. Und zwar auf der anderen Seite der Welt, in Neukaledonien, einem französischen Überseegebiet, das James Cook im 18. Jahrhundert entdeckte, es nach dem lateinischen Namen Schottlands „New Caledonia“ nannte, bevor die Franzosen es 1853 in Besitz nahmen. Zwischen der französischen Hauptstadt Paris und der neukaledonischen Hauptstadt Numea liegen 17.000 Kilometer, was am Anspruch Frankreichs auf die fünftgrößte Insel der Welt nichts ändert. Die französischen Siedler stellen einen großen Anteil an den rund 270.000 Einwohnern, wobei die Ureinwohner der Insel, die sich „Kanaken“ nennen, nach wie vor nach Unabhängigkeit streben. Doch mehrere Volksabstimmungen scheiterten knapp an den Stimmen der französischen Siedler. Durch die am letzten Dienstag in der Pariser Nationalversammlung beschlossene Änderung des Wahlrechts in Neukaledonien versucht Frankreich, künftige Unabhängigkeitsbestrebungen im Keim zu ersticken, indem rund 25.000 französischen Siedlern das Wahlrecht auf Neukaledonien eingeräumt wird, sofern sie seit drei Jahren auf der Insel leben. Dadurch, dass dies fast 10 % mehr Gegner der Unabhängigkeit bringt, rückt diese in unerreichbare Ferne für die Ureinwohner. Und seit dieser Abstimmung brennt Neukaledonien.
Bislang sechs Tote, Sachschäden in Höhe von geschätzten 200 Millionen Euro, Belagerungszustand rings um die Wohnviertel der Weißen, Verlegung von über 1000 Soldaten und Polizisten – Neukaledonien ist wieder einmal im Aufruhr. Doch warum besteht Frankreich auf den Anachronismus eines „Überseegebiets“ auf der anderen Seite der Welt? Darauf gibt es zwei Antworten: Geld und geopolitischer Einfluß. Geld, denn Neukaledonien sitzt auf rund 25 % der weltweiten Nickel-Vorkommen und Nickel gehört zu den ganz wichtigen Metallen, die in sehr vielen Industriebereichen zum Einsatz kommen. Geopolitik, da man in Frankreich argumentiert, dass bei einem Abzug aus Neukaledonien China die Fühler nach der an Rohstoffen reichen Insel ausstrecken würde.
Offensichtlich haben die kürzlichen Ereignisse in Mali und Niger, wo Frankreich mit Gewalt der Stuhl vor die Tür gestellt wurde, noch nicht ausgereicht, damit man in Paris versteht, dass die Kolonialzeit langsam vorbei ist. Dass Frankreich nun mit Waffengewalt „Recht und Ordnung“ auf Neukaledonien wiederherstellen will, wird nichts daran ändern, dass die Ureinwohner, die seit ewiger Zeit hier leben, weiter nach Unabhängigkeit streben werden, auch, wenn Paris den Gegnern der Unabhängigkeit gerade 10 % Stimmen für eventuelle künftige Volksabstimmungen spendiert hat.
Dass es heute noch Kolonien, oder rechtlich korrekt „Überseegebiete“ gibt, die anders als Französisch Guyana in Südamerika nicht zur EU gehören und daher keine Außengrenze 17.000 Kilometer von Europa entfernt darstellen, ist eine Irrung der Geschichte. Es wird Zeit, dass Frankreich seine Kolonialpolitik auf den Prüfstand stellt, denn das einzige Argument Frankreichs „Neukaledonien gehört eben uns“ ist im 21. Jahrhundert keine ausreichende Begründung mehr für Kolonialismus.
Diesen Anspruch durch „juristisch-politische Tricks“ zu untermauern, ist auch sehr fragwürdig, denn es muss den französischen Abgeordneten klar gewesen sein, dass sie damit Feuer an die Lunte des Pulverfasses Neukaledonien halten. Die Unruhen auf Neukaledonien sind immer noch nicht vorbei, sie werden wahrscheinlich weitere Opfer fordern und so etwas wie eine Befriedung der nach Unabhängigkeit strebenden Ureinwohner wird es kaum geben. Sollten die Ureinwohner angesichts der Waffenüberlegenheit Frankreichs (die relativ ist, man schätzt, dass auf Neukaledonien 100.000 Schusswaffen in Umlauf sind) erst einmal klein beigeben, dann ist die Frage der Unabhängigkeit noch lange nicht geregelt, sondern es ist nur eine Frage der Zeit, wann erneut Unruhen ausbrechen. Und das 17.000 Kilometer vom französischen Mutterland entfernt.
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